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Normensysteme:

So lässt sich über Gewicht trefflich streiten

Über Gewicht redet man nicht, Übergewicht hat man. So selbstbewusst kann man nur dann sprachlich punkten, wenn man dem Zeiger der Badezimmerwaage keine sanktionierenden Machtbefugnisse mehr überantwortet hat.

Die Skala einer Personenwaage.

Medizinische Norm – Übergewicht ist das, was die Waage zuviel anzeigt. Bild: © fotolia.de

Doch was ist eigentlich Übergewicht? Diese Frage klingt auf das erste Hören und Lesen banaler, als philosophische Diskurse dies durchgehen lassen. Denn um den Begriff „Übergewicht“ sinnvoll definieren zu können, muss man auch wissen, was kein Übergewicht ist. Und schon sieht man sich ins schillernde Reich der Normensysteme versetzt. Dort lernt man als Erstes, dass Übergewicht relativ ist. Und zwar relativ zu der Norm, der man sich verpflichtet fühlt. Doch welche Normen fallen hier ins Gewicht? Und auf welcher fast schon metaphysischen Basis kann und darf man dabei und damit sowohl über Gewicht als auch über Geschmack streiten?

Statistische Norm

Würde man alle erwachsenen Bundesbürger (oder zumindest eine repräsentative Stichprobe aus dieser Grundgesamtheit) auf die Wage stellen, und die Ergebnisse dieser Aktion in einer Häufigkeitsverteilung grafisch darstellen, so hätte das Ergebnis die Form der so genannten Gaußschen Normalverteilung, auch Gaußsche Glockenkurve genannt. Diese ist definiert durch einen bestimmten Mittelwert (Durchschnitt) sowie durch die Standardabweichung, die eine Aussage darüber erlaubt, wie hoch und wie breit die „Glocke“ ist. Wenn man diese Ergebnisse zugrunde legt, dann lässt man die Statistik darüber entscheiden, wo das Übergewicht anfängt. Denn in diesem Fall würde Übergewicht bedeuten, dass man als Einzelperson den Gewichtsdurchschnitt seiner Bezugsgruppe bedeutsam überschreitet.

Persönliche Norm

Wem die Bezugspopulation Schnurz ist, der legt sich mit seinem ganz persönlichen Idealbild fest, wie viel zuviel ist. Absolut unabhängig von anderweitigen Wertmaßstäben. Das können auf der einen Seite die Pro Ana oder die Pro Mia Leute sein, deren Idealbild niemals schlank genug sein kann. Das können andererseits aber auch jene selbstbewussten Schwergewichte sein, die jedes einzelne Pfund an sich abgöttisch lieben, und die der Meinung sind, dass es von ihnen gar nicht genug geben kann. In deren Idealnorm würde der Begriff „Übergewicht“ wahrscheinlich gar nicht existieren. So oder so – ideal ist hier, was man höchstpersönlich selbst draus macht.

Medizinische Norm

Wer die Verantwortung gerne den Ärzten überlässt, der kann sich in der Sprechstunde sehr genaue Daten darüber abholen, ob er Übergewicht hat oder nicht. Denn der Mediziner definiert Übergewicht gemäß den Regeln und den Erfahrungen seiner ärztlichen Kunst. Und zwar unabhängig vom Modegeschmack oder von den Maßstäben, die von eigensinnigen Patienten angelegt würden.

Gesellschaftliche und soziale Norm

In jeder Epoche und in jeder sozialen Gruppe hat es allgemein anerkannte Auffassungen dazugegeben, was als Übergewicht angesehen werden soll. Wer diesen gesellschaftlichen oder ethnischen Vorgaben genügen will, muss sich und sein Gewicht dem herrschenden Zeitgeist unterwerfen. Da ist es durchaus denkbar, dass eine Marilyn, die zu ihrer Zeit eine wahrhafte Sex-Göttin war, heute als hoffnungslos übergewichtig aus jedem GNTM-Casting rausfliegen würde. Gleichzeitig hätte sie der Schöpfer der „Venus von Willendorf“ wahrscheinlich haarsträubend als Hungerhaken aus seinem Atelier gejagt. Rubensdamen und Supermodels passen eben nicht ins gleiche gesellschaftliche Schönheitsbild.

Fakt ist: Übergewicht liegt im Auge des Betrachters. Und nirgendwo sonst. Das hat doch durchaus etwas Entlastendes. Oder?

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