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Gesichtsblindheit:

Prosopagnosie – Die fremden Gesichter

Erinnerungsschwierigkeiten - der Mann leidet unter ProsopagnosieFür die meisten von uns wäre folgendes wohl undenkbar: Wir gehen gemütlich im Park spazieren, gehen auf ein älteres Ehepärchen zu, werden freundlich begrüßt, sehen in die Gesichter der Personen und erinnern uns nicht, wer die Menschen sein sollen. Erst als sich der Mann mit dem Namen vorstellt, fällt es uns wie Schuppen von den Augen, es sind gute Freunde der Eltern, die man erst wenige Tage zuvor auf der Familienfeier getroffen hat und mit denen man sich angeregt unterhielt. Das beschriebene Phänomen nennt sich Prosopagnosie – zu Deutsch: Gesichtsblindheit.

Eine Störung im Gehirn

Für Patienten der Prosopagnosie ist es unmöglich, bekannte Personen anhand des Gesichtes zu erkennen. Für den gesunden Menschen ist dies nur schwer nachzuvollziehen, doch handelt es sich bei der Erkrankung um eine sogenannte visuelle Agnosie. Dies lässt sich auch mit Seelenblindheit übersetzen und bezeichnet eine Störung im Gehirn bei der Verarbeitung visueller Reize. So sind die Betroffenen unfähig Gesichter oder Gegenstände zu erkennen, obwohl sie diese genau sehen.  Meist wird die Erkrankung durch einen Schlaganfall oder einen Unfall ausgelöst, bei dem der Teil des Gehirns beschädigt wird, der für die Gesichtserkennung zuständig ist. Einige Formen der Prosopagnosie können auch vererbt werden, wobei die genaue genetische Ursache der Störung aber unbekannt ist.

Formen der Prosopagnosie

Gesichtsblindheit - Gesichter werden nicht wieder erkanntDie Gesichtsblindheit wurde zum ersten Mal im Jahre 1947 von dem deutschen Neurologen Joachim Bodamer festgestellt. Damals wurde über drei Patienten berichtet, die nicht in der Lage waren das Pflegepersonal, das sie täglich betreute, wiederzuerkennen. Alle drei Patienten waren aufgrund einer Gehirnverletzung in Behandlung. Zum Teil konnten die Patienten auch nahe Verwandte nicht wieder erkennen. Der Arzt nahm das Phänomen genauer unter die Lupe und nannte es Prosopagnosie. Bis heute wird diese Störung in drei verschiedenen Typen unterschieden und zwar in die apperzeptive, assoziative und kongenitale Prosopagnosie. Der erste Typus wird dabei bewusst wahrgenommen, das heißt die Patienten wissen über ihr Leiden Bescheid. Die apperzeptive Gesichtsblindheit wird durch beispielsweise Schädigungen im Gehirn erworben. Bei dieser Form können die Betroffenen nichts aus den Gesichtern erkennen, weder die Bekanntheit, noch das Alter oder das Geschlecht. Bei der assoziativen Form können Eigenschaften, wie zum Beispiel Emotionen, aus den Gesichtern abgelesen werden, jedoch fehlt die Verknüpfung zu Personen. In diesem Fall kann es also gut möglich sein, dass ein Betroffener seinem langjährigen Nachbarn ins Gesicht starrt, ohne diesen zu erkennen. Die kongenitale Prosopagnosie ist angeboren und in etwa mit der Legasthenie vergleichbar. Die betroffenen Personen können auch hier die Gefühle, Alter und Geschlecht im Gesicht erkennen, doch die Gesichter selbst keinen bekannten Menschen zuordnen.

Betroffene wissen sich meist zu helfen

Wer schon seit der Geburt an einer Gesichtsblindheit leidet, kennt die Situation nicht anders und wird seine Fähigkeiten zur Wiedererkennung von Personen auf andere Eigenschaften, wie die Stimme, Kleidung oder Frisur richten. Ein wenig schwerer ist der Umgang mit dem Phänomen, wenn es aufgrund einer Schädigung des Gehirns auftritt. Die Betroffenen wissen zunächst nicht wirklich mit ihrer Störung umzugehen, doch lassen sich auch hier Verhaltensweisen erlernen, die zu einem besseren Umgang mit dem Phänomen führen. Eine massive Einschränkung der Lebensqualität ist jedenfalls nicht zu befürchten.

Angeborene Gesichtsblindheit ist gar nicht so selten

Bislang war es schwierig genaue Zahlen über die Betroffenen der Prosopagnosie zu ermitteln, weil die Menschen, die seit der Geburt keine Gesichter erkennen können, überhaupt nicht wissen, dass die Gesichtserkennung nicht normal funktioniert. Entsprechend werden die Zahlen auch nur geschätzt und belaufen sich auf rund 2,5% der Bevölkerung. Während bei der Vorsorgeuntersuchung beispielsweise gezielt auf eine Farbenblindheit untersucht wird, ist die angeborene Gesichtsblindheit vielen Ärzten noch nicht einmal bekannt. Häufig werden dann die Symptome auch mit Autismus oder dem Asperger Syndrom – einer Störung innerhalb des Autismusspektrums – verwechselt. Allerdings wäre für betroffene Kinder eine frühe Erkennung der Gesichtsblindheit von deutlichem Vorteil. Denn dadurch könnten außenstehende Menschen früher auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen und diese aktiv bei den Unterscheidungsmerkmalen unterstützen. Denn die gesichtsblinden Kinder entwickeln schon früh Strategien, um Personen an ihrer Kleidung, ihrer Statur oder an bestimmten Bewegungen zu erkennen. Wenn Familienmitglieder darum wissen, lassen sich diese Strategien natürlich üben und verbessern. Eine Behandlung für die Störung gibt es bisher nämlich noch nicht.

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Über Stephan Lenz

Stephan Lenz studierte Philosophie, Soziologie und Anglistik an der Universität Mannheim. Es folgten schriftstellerische Fortbildungen und die freiberufliche Arbeit als Autor und Journalist. Neben unzähligen Artikeln in diversen Magazinen, veröffentlichte er Prosa im Charon Verlag, Hamburg, sowie im Wortkuss-Verlag, München. Er gehört seit vielen Jahren zum festen Stamm der Redaktion des Artikelmagazins.