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Lioba Werrelmann:

Wie das Gesundheitssystem uns krank macht

Unser Gesundheitssystem beschert vielen Patienten mit nicht alltäglichen Krankheitsbildern eine Odyssee. Wenn sie Glück haben, dann überleben sie.

Stellen Sie sich nicht so an - das Buch von Lioba Werrelmann:.

Lioba Werrelmann: »Stellen Sie sich nicht so an«

Manche überleben allerdings nur mit schweren Folgeschäden. Die Anzahl der Todesfälle ist leider nicht bekannt.“Stellen Sie sich nicht so an“. Die Odyssee der Lioba Werrelmann durch das deutsche Gesundheitssystem.

„Die Krankheit hat mir etwas geschenkt, das unbeschreiblich kostbar ist: Die unbändige Freude lebendig zu sein. Sie hat mir Dankbarkeit geschenkt. Und Leichtigkeit“, sagt Lioba Werrelmann, Autroin von „Stellen Sie sich nicht so an“.

Es ist nicht Jedermanns Sache, ein Buch über die Krankheit eines anderen zu lesen. Das geht mir normalerweise auch so. Mit diesem Buch ist es anders. Schon der Titel hat ich neugierig gemacht. Und so begann ich zu lesen und zu lesen und zu lesen.

Das Schicksal von Lioba Werrelmann, die von Geburt an einen Herzfehler hat, hat mich berührt. Das Buch hat mich gefesselt. Man kann Anteil nehmen am ihrem Schicksal, ohne sich selbst dabei als Voyeur zu fühlen. An der einen oder anderen Stelle mag man Lioba Werrelmann rütteln und ihr sagen: „Hey, lass’ dir das doch nicht alles gefallen“. Aber wer selbst einmal an einer längeren und vor allem schweren Krankheit gelitten hat, weiß, dass das nicht ganz so einfach ist.

Unser Gesundheitssystem folgt Regeln, die man als Patient meist nicht durchschaut. Oft ergeben die Entscheidungen von Ärzten und Krankenkassen auch nicht wirklich einen Sinn. Und am Ende bleibt man auf sich alleine gestellt, wenn man Pech hat, sogar für längere Zeit.

Lioba Werrelmann war bis zu ihrem 40. Geburtstag eine lebendige Frau, die einen tollen Job als Hauptstadtkorrespondentin in Berlin hatte. Sie liebte ihre Arbeit, genoss das Leben und war im Großen und Ganzen zufrieden mit ihrer Beziehung. Das änderte sich alles schlagartig, als ihr angeborener Herzfehler sie regelrecht in die Knie zwang. „Von da an ging’s bergab“.

Nach einer langen Odyssee, die ein gutes Jahr dauerte, durfte sie für ein kurzes Jahr in ihr altes Leben zurückkehren, dann holte sie die Krankheit wieder ein. Jetzt war es endgültig aus mit ihrem aufreibenden Job in Berlin.
Sie hatte jedoch Glück, dass sie einen verlässlichen Freundeskreis hatte – nicht nur in Berlin, sondern auch in ihrer alten Heimat. Das machte ihr die Rückkehr leichter..

Das Buch von Lioba Werrelmann zeigt mehr als deutlich, dass unser Gesundheitssystem selbst krank ist. Wenn man dringend ärztliche Hilfe braucht, aber weder Ärzte noch Krankenkassen die Krankheit verstehen und einordnen können, dann hat man wirklich schlechte Karten. Und das geht nicht nur Menschen mit einem angeborenen Herzfehler so, obwohl bereits jedes 100. Kind in Deutschland mit einem Herzfehler geboren wird.

Vor 50 Jahren sind rund 90% dieser Kinder gestorben. Heute können sie – meist durch aufwendige Operationen – gerettet werden. Viele ahnen leider nicht, dass sie erneut schwer erkranken können.

Die sogenannten EMAH-Patienten sind für viele Ärzte vor allem dann ein „Buch mit sieben Siegeln“, wenn es sich um Erwachsene handelt. Bislang gibt es noch immer wenig Möglichkeiten, sich professionell gut im erwachsenen Alter behandeln zu lassen. Nicht selten müssen EMAH Patienten auf der Kinderstation eines Krankenhauses betreut werden, weil dort die einzigen Kardiologen mit einer Zusatzausbildung arbeiten. Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen sind meist nur auf erwachsene Patienten mit erworbenen Herzfehlern vorbereitet.

Wenn man als Patient in kein festes Schema passt, dann wird man von unserem Gesundheitssystem ganz schön im Stich gelassen. Und das trifft nicht nur auf Erwachsene mit angeborenem Herzfehler zu, sondern auf alle Patienten, die sich nicht nach dem 08/15 Prinzip abfertigen lassen. Oft fängt es schon bei einer Unverträglichkeit von Medikamenten an, die von den meisten Ärzten nicht erkannt wird, weil diese angeblich gar nicht existiert. Und so antwortet eine Radiologin auf die Frage einer Patientin, weshalb man ihr genau das Präparat verordnet hat, auf das sie sehr heftig allergisch reagiert: „Es gibt ja kein Medikament gegen diese Krankheit, das einen anderen Wirkstoff enthält. Sie müssen das einfach mal ausprobieren, es wird schon nicht so schlimm werden“.

Und wer sich dann auch noch bei seiner Krankenkasse beschwert, der kann schnell als notorischer Querulant gelten. „Stellen Sie sich nicht so an“, dann können Sie trotz unseres Gesundheitssystems überleben, mag man da fast zynisch rufen.

Lioba Werrelmann legt in jedem Fall mit ihrem Buch den Finger in die Wunde eines Gesundheitssystems, das viele Fragen offen und so manchen Patienten mit seiner Krankheit alleine lässt.

Ratsuchende erwachsene EMAH-Patienten können inzwischen u. a. im Deutschen Herzzentrum in München und bei der EMAH Stiftung Karla Völlm – Universitätsklinikum Münster e.V. Auskunft bekommen.

Buchtipp: »Stellen Sie sich nicht so an« Meine Odyssee durch das deutsche Gesundheitssystem; Gebundene Ausgabe: 288 Seiten; Verlag: Knaur Verlag; Auflage: 1., Aufl. (03.03.2014); Sprache: Deutsch; ISBN-13: 978-3-426-65538-2; Preis 16,99 Euro

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Über Ria Hinken

Ria Hinken kam über ihre Motorradleidenschaft in den 1980er Jahren zum Hessischen Rundfunk. Sie war zunächst für die Verkehrsredaktion später auch als Freie für andere Redaktionen und Sender tätig. 4 Jahre hat sie eine eigene Motorradzeitschrift herausgegeben. Heute sind ihre Schwerpunktthemen: Gesundheit, Reisen und Wirtschaft. Sie ist leidenschaftliche Bloggerin.