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Brauchtum im Wandel der Zeit

Eine historische Betrachtung der Mitgift: Die Zeit der Aussteuer ist vorbei

Ein typischer Aussteuerschrank gefüllt mit Textilien und GeschirrBis ins 20. Jahrhundert hinein war es üblich, dass die Braut eine solide Aussteuer mit in die Ehe einbrachte. Das aber ist längst vorbei. Vielfach lebt man ohnehin ohne Trauschein zusammen. Aussteuer kennt kaum noch jemand. Was hat sich geändert?

Insbesondere in der bäuerlichen Welt des 19. Jahrhunderts war der Weg durchs Leben vorgezeichnet. Von der Wiege bis zur Bahre. Der einzelne wusste, was auf ihn zukam. Darauf war ziemlich Verlass. Allerdings war er dadurch auch ziemlich eingeengt. Wehe, wenn er es wagte, vom vorgezeichneten Weg abzuweichen. Wehe, wenn er nicht mehr in das Schema der alten Welt passte.

Wie weitgehend die Welt des einzelnen vorgezeichnet und geregelt war, kann man deutlich am Beispiel der Aussteuer erkennen; denn die damalige Gesellschaft hatte nicht nur darüber klare Vorstellungen davon, was eine Braut als Aussteuer mit in die Ehe einzubringen hatte. Sie hatte auch Vorstellungen davon, welche Textilien dann in den Wäscheschrank gehörten und wie sie zu pflegen waren. Solche Vorgaben haben die Menschen damals allerdings keineswegs als fremd oder aufgezwungen empfunden. Sie hatten sie in ihrem Sozialisationsprozess tief verinnerlicht. Ja, sie empfanden sie dadurch sogar als ihre höchst persönliche Einstellung: „Das macht man so!“ Wer nicht mitspielte, hatte es schwer in dieser Welt.

Textilien für ein ganzes Leben

Damals wurde ein solider Vorrat an Kleidung und Textilien als materielle Grundlage jeder Ehe angesehen. Mit ihm war für einen wichtigen Teil der elementaren Bedürfnisse im Leben der Eheleute vorgesorgt. Auf diese Vorsorge bestand die Gemeinschaft. Sie fühlte sich dazu legitimiert, weil sie letztlich für den einzelnen aufzukommen hatte, wenn er in Not geriet – wenn er nämlich sein „letztes Hemd“ verlor.

Die Gesellschaft setzte diese Vorstellungen im ausgeprägten Rollenbild der Frau durch. Es war danach Aufgabe der Braut bzw. ihrer Familie, für diese elementare Absicherung zu einem wesentlichen Teil durch eine ausreichende Aussteuer zu sorgen. Eine Braut ohne solide Brautausstattung war kaum denkbar. Der Bräutigam hatte dafür seine beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten in die Ehe einzubringen.

Dieses Rollenbild hatte jeder derart verinnerlicht, dass es kaum Verwirklichungsprobleme gab. Wer wollte an dieser Aufgabe der Braut zweifeln?! Dieses Bild war dermaßen verinnerlicht, dass es sich über Generationen noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hielt – bis in eine Zeit also, in der die Ausstattung mit Textilien ihre ursprüngliche elementare Bedeutung längst verloren hatte.

Mit einem Monogramm kennzeichnete die Braut die Textilien, die sie in die Ehe einbrachte. Ende des 19. Jahrhunderts dienten ihr dabei ABC-Tücher als Vorlage.Textilien für ein ganzes Leben: Das waren zur Hälfte Kleider und Stoffe. Zur anderen Hälfte war es Bettzeug. Selbst die Sterbekleidung, zu der oft auch ein Totenlaken gehörte, war vielerorts fester Bestandteil der Aussteuer. Die junge Frau hatte ihr selbst genähtes, oft aufwendig gearbeitetes letztes Hemd mit in die Ehe zu bringen.

Da die Aussteuer aus einer ganzen Menge Textilien bestand, musste man schon früh an die Aussteuer denken. Mit 13, spätestens 14 Jahren war es für die Mädchen soweit: Die Zusammenstellung begann. Schließlich sollte vieles „eigengemacht“ sein. Bis zur Heirat musste die Aussteuer dann vollständig vorhanden sein.

So wurde unter Anleitung der Mutter Tisch- und Bettwäsche angefertigt und mit Initialen gekennzeichnet. Bettlaken und Strumpfpaare wurden mit gestickten Ziffern fortlaufend nummeriert. Die Kennzeichnung mit Initialen sollte eine Verwechslung der Wäsche beim Bleichen auf den gemeinsam genutzten Bleichwiesen verhindern.

Das alles war an sich nichts Neues für die Mädchen. Schließlich waren sie im Haushalt schon von früh an auf die vielfältigen Techniken vorbereitet worden, die sie später als Hausfrau beherrschen mussten.

Soziale Kontrolle

Aber zurück zur Aussteuer. Natürlich gab es soziale Kontrollen, die verhindern sollten, dass sich die Braut ihrer Vorsorgepflicht mit einer dürftigen Aussteuer entzog. Deshalb war die Aussteuer öffentlich zu zeigen. So war es vielerorts üblich, dass der mit Heiratsgut beladene Kammerwagen durch das Dorf fuhr, bevor die junge Braut in das Haus des Bräutigams einzog.

Die so zur Schau gestellte Aussteuer wurde als sichtbarer Beweis für Fleiß und Reichtum der Braut angesehen. Wehe, wenn ihre Aussteuer dem gesellschaftlich allgemein verinnerlichten Wertmaßstab nicht entsprach. Die Sanktionen begannen mit bissigem Spott. Und der wirkte in der engen sozialen Welt mehr als heute.

Das alles war so selbstverständlich, dass es mit bestimmten, allen geläufigen Begriffen in die Sprache einging. So wusste man in Schleswig-Holstein, dass mit „Utschuuf“ oder „Utschup“ das „Hinausschieben“  des Brautgutes am Tage der Hochzeit gemeint war – jenem „Bruutbettabend“, an dem die Aussteuer in das Haus des Bräutigams gebracht und das Brautbett aufgemacht wurde. In manchen Orten konnte dies grundsätzlich nur an einem Donnerstag geschehen.

Sozialer Wandel

Eine Aussteuer-Truhe voll mit dem HeiratsgutVöllig statisch allerdings war auch diese Gesellschaft nicht. Als ab Mitte des 19. Jahrhunderts industriell gefertigte Aussteuerwäsche zu günstigen Preisen zunehmend in Konfektions- und Warenhäusern angeboten wurde, passte sich die Gesellschaft an: Wäsche musste nun nicht mehr „eigengemacht“ sein. Man akzeptierte auch Konfektionsware, die von den Mädchen dann nur noch mit ihren Monogrammen bestickt zu werden brauchte.

Auch die Rolle der Mutter änderte sich: Die Anleitungen für die Herstellung der Aussteuer wurden Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr von Arbeitsschulen vermittelt.

Das Kapital der jungen Leute

Insgesamt stellte die Aussteuer das Kapital der jungen Ehe dar, das ihre Zukunft absichern sollte. Damit gab sie den jungen Leuten Sicherheit und vermittelte ihnen das Gefühl, dass die nächste Phase ihres vorgezeichneten Lebens planmäßig anlief.

Der Umfang der Aussteuer und damit die Lebensperspektive hing erheblich von den Vermögensverhältnissen der Eltern ab. So war es nicht unüblich, dass die Töchter wohlhabender Bauern eine Aussteuer in die Ehe einbrachten, die ein Drittel der Jahreseinnahme des Hofes entsprach. Ein Tagelöhner hätte hierfür 2.000 bis 3.000 Tage arbeiten müssen.

Klar, dass unter diesen Umständen die Aussteuer von mädchen aus ärmerem Hause wesentlich bescheidener ausfiel. Für sie gab es die Möglichkeit, sich in den Städten durch eine Stiftung, die speziell für die Aussteuer armer Bräute eingerichtet war, das notwendige Brautgut zu beschaffen. Auch derartige Unterstützung gehörte zum damaligen gesellschaftlichen Sicherungssystem.

Natürlich akzeptierte die Gesellschaft, dass die Aussteuer unter diesen Umständen unterschiedlich ausfiel. Sie musste den Verhältnissen im Elternhaus angemessen sein. Darauf kam es an.

Schwer tat sich die Gesellschaft dagegen, wenn es einem Mädchen auf diesem Wege nicht gelang, das zusammenzubekommen, was als notwendig für eine Ehe galt, und es deshalb versuchte, durch Brautschatzsammeln doch noch zu einer Aussteuer zu kommen. Dieses Brautschatzsammeln war besonders auf der ärmeren Geest verbreitet. Teils wurde es von der Obrigkeit als „alte Volkssitte“ geduldet, teils als Bettelei angesehen und verboten. An sich akzeptierte es die Gesellschaft nicht.

Foto: Wikipedia // Frank C. Müller

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