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Medienskandale:

„Ein Geständnis verkürzt die Lebensdauer eines Skandals“

Wie entsteht ein Medienskandal? Und wer profitiert am meisten von der Sensation. Zu diesen und anderen Fragen hat sich Frank M. Wagner mit dem Soziologen Hans-Dieter Schröder vom Hans-Bredow-Institut unterhalten.

Journalist Martin Heidemanns

Medienhype – Der Journalist Martin Heidemanns stellt sein Buch „Affäre Wulff“ vor. Bild: © picture alliance / dpa

Diesen Skandal erhalten die Medien beispielsweise nicht weiter am Leben.

Naja, wer hat ein Interesse daran, einen Skandal am Leben zu erhalten? Es gibt natürlich ein Selbstinteresse der Medien nach dem Motto: „Wir haben etwas aufgedeckt, oder zumindest einen Verdacht geschürt, der die Aufmerksamkeit des Publikums bindet – denn das ist unser professionelles bzw. kommerzielles Eigeninteresse“. In einem solchen Fall muss man noch weitere inhaltliche Aspekte nachschieben, damit das Publikum annimmt, dass es noch mehr relevante Neuigkeiten erfahren wird.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn Wulff gleich zugegeben hätte, wie sich die Situation tatsächlich darstellt, dann wäre die Luft raus gewesen. Dann hätte man vielleicht trotzdem noch darüber nachdenken können, ob er als Präsident tragbar ist. Aber: Richtig untragbar ist er  erst durch sein Verhalten in der Krisenkommunikation geworden.

Und dieses Verhalten hat dann noch einmal weitere Medien zu noch intensiveren Recherchen und Berichten animiert. Wie wird ein Skandal eigentlich größer, was bringt immer mehr Medien dazu, auf den Zug aufzuspringen?

Das wissen Sie möglicherweise besser als ich…

…naja, mit den skandalträchtigen Boulevardthemen habe ich mich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren eher am Rande beschäftigt…

Relevanz und Neuigkeitswert sind das A und O. Es reicht nicht, dass jeder schon wusste, dass  in der Ukraine ein Missbrauch des staatlichen Apparates zu vermuten ist und Timoschenko im Gefängnis sitzt. Davon abgesehen müssen immer weitere Neuigkeiten hinzukommen. Das war zum Beispiel bei Wulff der Fall. Wir haben die Nachricht zunächst von einem Medium gehört, und dann hat eine andere Zeitung gesagt „wir wissen noch mehr dazu“. Es gab also quasi eine Gegenrealitätskonstruktion der Journalisten, die die täuschende Realitätskonstruktion des Präsidenten angegriffen hat. Dann kann ein Medium natürlich erklären, es gebe noch einen weiteren Aspekt, ein weiteres Indiz, noch mehr Zeugen usw. Diese Berichterstattung lohnt sich, solange gesellschaftlich noch nicht ausgehandelt ist, wie denn die Realität denn nun tatsächlich aussieht.

Bei Wulff ging es dann soweit, dass er zurückgetreten ist und gesagt hat: „Ich habe Fehler gemacht, aber ich war immer aufrichtig“.

(lächelt): Da haben Sie genau den Punkt erwischt: Genau das, was den Skandal zum Skandal macht, nämlich die Täuschung, hat er bestritten. Denn er war ja gerade nicht aufrichtig, wie er erklärt hat. Denn er hat sogar versucht, die Täuschung sogar mit Hilfe des Einflusses auf den Bild-Chefredakteur fortzusetzen.

In so einem Fall wie bei Wulff oder Timoschenko muss die Recherche schnell und gründlich erfolgen. Wie können kleinere Redaktionen diese Arbeit eigentlich leisten?

Zunächst einmal greifen diese auf das Material der Agenturen zurück. Zum anderen gibt es ja auch noch den Unterschied zwischen Nachricht und Kommentar. Die Nachricht muss behaupten, dass sie wahr ist. Der Kommentar muss das nicht. Der hat ganz offen die Funktion, Schlussfolgerungen zu ziehen, Bewertungen vorzunehmen etc. Allerdings haben wir bei den Nachrichten oft die Situation, dass sich die Medien opportune Zeugen heranholen. Dann hat der Journalist einen sachverständigen Zeugen und den kann er dann als Hilfsperson zur Realitätskonstruktion heranziehen. Insofern ist die daraus entstehende Realitätskonstruktion nicht mehr nur seine eigene, wie etwa beim Kommentar. Er kann die Aussagen des Zeugen oder auch Experten vielmehr in eine Nachricht kleiden. Journalisten zitieren dann oft „wohlinformierte Kreise“. Das ist der schwächste Ansatz, mit dem man dann einen Verdacht mittels anonymer Zeugen streut.

Alternativ kann man auch einen Zeugen aussuchen, der kompetent genug ist, ihn als „Fachmann“ darzustellen. So etwas kann ein Journalist in einem Skandal prima machen, denn man hat immer gute Chancen irgendjemanden zu finden, der entweder eine bestimmte Meinung bereits vertritt oder dem man sie zumindest in den Mund legen kann. Denn der Befragte hat ja auch ein Interesse an seiner Zitierung, nämlich die PR für sich selbst.

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