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Medienskandale:

„Ein Geständnis verkürzt die Lebensdauer eines Skandals“

Wie entsteht ein Medienskandal? Und wer profitiert am meisten von der Sensation. Zu diesen und anderen Fragen hat sich Frank M. Wagner mit dem Soziologen Hans-Dieter Schröder vom Hans-Bredow-Institut unterhalten.

Julia Timoschenko wird auf einem Plakat dargestellt

Die ukrainische Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko auf einem Protest-Plakat. Bild: © picture alliance / dpa

Wieso bringen kleinere Lokalmedien den Fall Timoschenko auf der Titelseite, obwohl er für das Verbreitungsgebiet der Zeitung gar nicht relevant ist?

Zunächst einmal gilt: Das Weltbild der Leser eines lokalen Mediums speist sich nicht nur aus den Geschehnissen im eigenen, lokalen Bereich. Zweitens: Wenn man über Skandale im Ausland berichtet, dann zeigt man, dass man Skandale überhaupt für berichtenswert hält. Wenn eine Zeitung keinen der Skandale, der sich außerhalb des  eigenen Tellerrandes ereignet, wahrnehmen würde, dann würde dem Medium auch keiner mehr glauben, dass es Skandale im eigenen Gebiet wahrnehmen würde. Als Zeitungsredaktion braucht man also Selektionskriterien, um einschätzen zu können, welche Ereignisse den Relevanzkriterien der Leser entsprechen. Für die Leser sind Skandale eben auch wichtig. Und wenn Medien es nicht schaffen, Vertuschungen der Realität durch Dritte (wie etwa Amtspersonen) aufzudecken, dann haben Sie ihre Funktion als vierte Gewalt verfehlt. Und wenn die Medien zu Hause gerade nichts aufzudecken haben, dann ist es nicht falsch, die Skandale, die anderenorts passieren, mitzunehmen. Wenn es in der Ukraine Skandale gibt, die größer sind, dann nehmen die Medien eben diese.

Nun hat es schon vor oder neben dem Fall Timoschenko auch andere Skandale in der Ukraine gegeben. Die Inhaftierung der Musikgruppe „Pussy Riots“ ist beispielsweise so ein Thema. Darüber hat aber kaum ein Medium berichtet und schon gar nicht in größerem Umfang. Hat die Fußball Europameisterschaft für die Skandalgeschichte Timoschenko also eine wichtige Rolle gespielt?

Davon kann man ausgehen, weil die EM ein Zeichen dafür war, dass es nicht abwegig ist, zu unterstellen, dass sich das Publikum mehr für die Ukraine als beispielsweise für die Mongolei interessiert. Für unser Bewusstsein ist die Ukraine eigentlich furchtbar weit weg, hat mit der EU oder Nato nichts zu tun, ist wirtschaftlich und militärisch für uns unwichtig. Das Land hatte ein Problem mit den Gaslieferungen aus Russland. Ansonsten gab es ja noch die Orange Revolution, die dann irgendwann wieder verschwunden ist. Die Ukraine ist also eigentlich ein Thema, das nicht so interessant ist. Vor diesem Hintergrund Dann ist ein politischer Skandal, der mit der Beschneidung von Menschenrechten zu tun hat, immerhin schonbemerkenswert. Interessanter vielleicht als irgendwelche Musikgruppen, die Schwierigkeiten haben.  Julia Timoschenko ist zudem ja auch noch prominenter als die Pussy Riots.  Medial gesehen wäre es natürlich noch besser gewesen, man hätte Udo Lindenberg verhaftet (lacht). Da hätten wir dann ja alle sofort aufgeschrien, weil unsere Relevanzkriterien hier nochmal ganz anders sind.

Trotzdem ist die Ukraine etwas mehr in unseren Aufmerksamkeitsfokus geraten. Dies hat dann aber nicht lange vorgehalten. Ich glaube, noch während der Europameisterschaft war das Thema „Was ist mit Timoschenko?“ relativ erledigt. Das hatte auch damit zu tun, dass man beim Stichwort „Ukraine“ vor allem an unsere Fußballer gedacht hat. Man kann die Berichterstattung über die EM zwar nicht monokausal zuordnen. Aber Sie haben Recht, dass hier ein Zusammenhang besteht.

Kann man es sich leisten, als Medium bei Titel-Themen wie Timoschenko gegen den Strom zu schwimmen und das Thema nicht auf den Titel zu bringen, sondern dort beispielsweise die Energiewende zu  setzen?

Ja, darauf kommt es nicht an, man hat ja noch die Seite 2. Ein Thema völlig zu vergraben ist jedoch durchaus ein Problem.

Kann man grundsätzlich einen Skandal bewusst erschaffen und dann auch entsprechend kontrollieren?

Erschaffen ja. Kontrollieren nein, weil man dann nicht mehr der einzige Spieler ist. Wenn man beispielsweise in einem großen Unternehmen arbeitet und weiß, dass es Fehlverhalten gibt, dann kann man einen Skandal erschaffen, indem man das als sogenannter „Whistleblower“ auf den Markt bringt. Man kann dabei an Medien geraten, die nicht gleich die ganze Wahrheit auf den Tisch legen wollen, sondern kleine Andeutungen säen und diese langsam steigern. Diese Medien warten dann das erste Dementi als Reaktion ab und erklären: „Wir wissen längst mehr“. Insofern kann man die Entwicklung eines Skandals steigern.

Als Zeitung kann man den Skandal allerdings nicht knotrollieren, da es zu viele andere Mitspieler, also andere Medien,  gibt. Als Whistleblower ist eine Kontrolle erst nicht möglich. Als Beschuldigter kann man einen Skandal nur in so weit kontrollieren, dass man sehr schnell das Handtuch wirft und sagt: „Ja, das war ein großer Fehler, den ich gemacht habe, soll nicht wieder vorkommen“, oder man sagt: „So schlimm ist es doch gar nicht“. Beides ist möglich. Es gilt: Ein Geständnis verkürzt die Lebensdauer eines Skandals. Das ist eindeutig. Im Fall zu Guttenberg hätte der Minister vielleicht auch 14 Tage früher zurücktreten oder die Realität eher einräumen und den Titel vorher zurückgeben sollen. Dann wäre der Skandal vielleicht unproblematisch geworden. Aber Sie sehen hier genau dasselbe Verhaltensmuster, das man auch bei vielen anderen Skandalen erkennt: Es wird viel zu lange versucht, die eigene Realitätskonstruktion aufrecht zu erhalten, anstatt zu sagen: „Ja, oh, da haben Sie mich erwischt.“ Punkt.

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