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Zwischen Calw und Mirabella – Schwäbische Sizilianer

Sie waren als Gastarbeiter vom sizilianischen Hochland gekommen, und ihre Kinder und Enkel wurden im Nagold-Tal bodenständig. Sehnsüchte hin und her.

Nicht viel los: Eine leere Gasse in Mirabella auf SizilienFür die Schwaben aus Sizilien war es exakt vor Jahresfrist ein ganz besonderer Tag. Zu Mariä Himmelfahrt, oder profan zum hohen italienischen Feiertag Ferragosto am 15. August, war eigens der Bischof aus dem sizilianischen Caltagirone gekommen. Monsignore Calogero Peri betreut normalerweise die Katholiken in Mirabella, einem etwa 12.000  Einwohner zählenden Städtchen im Hochland südöstlich von Enna. Und damit aber auch, und das war ihm Verpflichtung, jene rund 3000 Sizilianer, die – oder deren Eltern – im Lauf der Jahrzehnte aus Mirabella nach Calw, ins Nagold-Tal, gekommen sind, und die sich hier im Schwäbischen auf Dauer angesiedelt haben. Der Besuch war dem Bischof auch deshalb besonders wichtig, weil er andererseits daheim etwa 3.500 „Schäfchen“ hat, die im Schwäbischen gearbeitet haben – vor allem bei Daimler Benz – um anschließend wieder in ihre italienische Heimat zurückzukehren. Eine Wechselbeziehung also. Vor einem Jahr nun führte der Bischof die Prozession in Calw an – und er machte, es war eine ganz besondere Geste – Station auch in der Evangelischen Stadtkirche.

Ein schwäbisches Sizilien

Calw und Mirabella, das ist seit 50 Jahren eine ganz besondere Verflechtung. Dieses sizilianische Städtchen, es zählt etwa 12.000 Einwohner, liegt mitten im sizilianischen Hochland südöstlich von Enna, dem „Dach“ der Insel. Und die dort vorwiegend zur Sommerzeit in Massen auftretenden Autos mit schwäbischen Kennzeichen weisen augenfällig aus: Hier handelt es sich um eine schwäbische Dépendance, eigentlich um eine von Daimler-Benz. Um bei den Autos zu bleiben: In Mirabella fährt man mit dem Mercedes zur Hochzeit wie zur Taufe, und auch der Leichenwagen trägt den guten Stern von Untertürkheim. Ein schwäbisches Sizilien dort, ein sizilianisch angehauchtes Schwaben hier. Zwei eigentlich höchst unterschiedliche Orte, die aber über lange Jahre hinweg auch im Wochentakt durch eine „Gastarbeiter“-Buslinie miteinander verbunden waren. Die Busverbindung gibt es noch immer, wenn auch die Reisenden heutzutage keine Gastarbeiter mehr sind..

Die Enkel langweilen sich hier

Schwäbische Sizilianer in Mirabella auf Sizilien1961 waren die ersten Sizilianer nach Deutschland gekommen; heute sind sie 80 oder 85 Jahre alt und bebauen – zurückgekehrt – mit krummem Rücken, mit Hilfe der Großfamilie, das Stückchen Rebland, das Tomatenfeld, das sie von dem bei Daimlers erarbeiteten Lohn gekauft haben. Heute sind ihre Kinder und Enkel in Deutschland. In den Ferien kommen sie heim, die Urenkel kommen mit und finden es auf Dauer langweilig: Und sie sagen: „Hier kann man nur kurz Urlaub machen“. Sie sagen es auf Schwäbisch, grüßen mit „Grüß Gott“ und verabschieden sich mit einem „Adele“.

Die Bar verspricht Bitburger Pils

Wenn man in das auf halber Höhe über dem Tal gelegene Städtchen fährt, sieht man den Bauboom am Hang. Schmucke Häuschen in einem Stil, der beide Mentalitäten vereint: Das Schwäbisch-Ordentliche mit dem Sizilianisch-Bodenständigen. Im Schatten der Kirche am unteren Ende der sanft geneigten Piazza sitzen die alten Männer. Viele von ihnen werden „I Tedeschi“ – die Deutschen – genannt. Sie reden von schwäbischer Zeit. Reich geworden sind sie in den Jahren der Emigration nicht, aber viele hatten, gerufen von der Werbetrommel der deutschen Industrie, erstmals richtiges Geld in der Hand – Marchi; und satt zu essen. In der Bar, deren Eingangsschild frisches Bitburger Pils verspricht, spürt man nichts von Ressentiments. Im Gegenteil: Viele würden gern wieder zurückgehen, wenn sie Arbeit fänden. „Ich meine oft, hier nur einen längeren Urlaub zu verbringen“, sagt eine junge Frau, die in Deutschland aufgewachsen ist und nur den alten Eltern zuliebe mit ihnen in die sizilianische Abgeschiedenheit zurückgekehrt ist. Sie klagt, im Winter sei es hier wie tot.

So gehen die Sehnsüchte her und hin. Viele der Zurückgekehrten zieht es im Herzen wieder nach Schwaben; aber auch viele der im Schwäbischen Arbeitenden zieht es zurück zum Dach Siziliens. In beiden Fällen heißt der Impuls Heimweh.

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Über Klaus J. Schwehn

Nach 25 Jahren spannender Tätigkeit als Parlamentskorrespondent in Bonn (Badische Zeitung, Die Welt, Berliner Tagesspiegel) lebe ich heute in Oberitalien. Meine Arbeitsschwerpunkte sind Politik und Gesellschaft in Italien und Deutschland; aber auch Fragen der Europäischen Union.