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Stars aus der Retorte:

Casting-Shows im Fernsehen – Das Ende der Kunst?

Castingshow - auf dem Weg zur RetortenbandEne, mene, muh und raus bist du. Das wäre die Kurzform der ausufernden Talentshows im Fernsehen, doch so einfach möchte man es dem leidgeprüften Publikum vor den Fernsehschirmen dann doch nicht machen oder sollte man wohl eher sagen, so schnell sollen die zu melkenden Kühe nicht mehr freigegeben werden. Denn um nichts anderes handelt es sich bei den vielen verschiedenen Sendungen, welche die Talente der Stars von Morgen auf der Mattscheibe präsentieren: Um ein schnelles und vor allem kurzsichtiges Ausnehmen von an sich ambitionierten Menschen. Doch trotz der zweifelhaften Absichten funktionieren die Shows im Fernsehen noch immer.

Casten was das Zeug hält

Betrachtet man die Castingshows einmal ganz nüchtern, so teilen diese sich in drei Phasen auf. In Phase eins machen die Sender Kasse durch Einschaltquoten, weil man sich als Zuschauer die ganzen Möchtegerntalente nicht entgehen lassen möchte, die durch Ihr Verhalten oder Fehlen an Talent deutlich zum abendlichen Amüsement beitragen können. Die wirklich talentierten Teilnehmer sind in dieser Phase für einen Großteil des Publikums noch nicht wirklich interessant. Deshalb wird auch im Mittelteil der Shows, in Phase zwei, mit regelmäßig inszenierten Schwierigkeiten und Problemchen versucht die Zuschauer nicht zu langweilen, damit sie in der letzten und dritten Phase dann dem harten Kern der wirklich Talentierten die Däumchen drücken können. Und diese kämpfen dann auch brav um die Gunst der Stunde, während neben den Werbeeinnahmen bereits erste unbedeutende Singles erscheinen, die sich dank aggressiven Marketings aber durchaus gut verkaufen. Für die anvisierten Zielgruppen mag das Stelldichein der Möchtegernstars durchaus fruchten, doch dürfte beim reifen Zuschauer lediglich ein Schauer über den Rücken huschen, ein grausiger nämlich, der das Gezeter der Showbiz-Größen, die eigentlich gar keine sind, nur allzu schnell als Showgeschwafel entlarvt und dem schnell steigenden und noch schneller schwindenden Erfolg der Siegerbands nur kopfschüttelnd hinterherschauen kann.

Gesponsert von Emotionen

Singen für den scheinbaren Ruhm und ErfolgWas letztlich erfolgreicher bleibt als die Bands, die in den Shows gekürt werden, sind die Shows selbst, die sich behäbig und selbstgefällig wie Vampire von der Energie ihrer Kandidaten nähren und diese zu Opfern machen, ohne dass sie es merken. Und selbst wenn sie es merken, bewahren sie die gute Miene zum bösen Spiel. Die Popart-Ikone Andy Warhol prophezeite es bereits in den 1960er Jahren, dass jeder seine fünfzehn Minuten Ruhm erhielte. Wie auch immer man diese Aussage interpretieren möchte, ist dieser Zenit dank Talkshows und Reality-TV ohnehin schon längst überschritten und die Castingshows treiben den Ruhm für Jedermann auf die Spitze von mehreren Wochen oder Monaten, denn viel länger hält eine Fernseh-Show-Karriere nur selten und auch nur mit unverschämtem Glück. So alt wie die Castingshows mittlerweile sind, so alt sind auch deren Kritiker, unter denen sich keineswegs nur gescheiterte Pop-Star-Anwärter tummeln, sondern gestandene Experten, Wissenschaftler und auch echte Künstler, die das Melk-Prinzip der Shows schon von Beginn an durchschauten und künstlerische wie auch moralische Zweifel an dem Konzept der „Menschen-vorführen-für-Quote-und-Geld“ äußersten.

Doch aller Kritik und Unkenrufen zum Trotze nehmen die Shows kein Ende und wiederholen sich Jahr um Jahr immer wieder aufs Neue. Und was diese Shows so erfolgreich macht sind schlicht die Emotionen, die gnadenlos ausgeschlachtet werden. Die überwiegend jungen Zuschauer fiebern mit Ihren Favoriten mit, Leiden mit ihnen, freuen sich mit ihnen, verlieben sich in sie oder projizieren ihre eigenen Träume, Sehnsüchte und Emotionen auf ihre Vorbilder, die dabei sind es vom gewöhnlichen Schüler zum Megastar zu schaffen. So sammeln die Musikmagnaten also rücksichtslos die Seelen junger Menschen ein und nutzen die Musik als Werkzeug ihres Raubzuges durch die Emotionen. Einige mögen die überspitzte Dramatisierung als satirisch überzogen betrachten, während manch anderem die Schelte bei weitem noch nicht genug scheint. Doch ob man nun Freund oder Feind dieser Casting-Shows ist, werden sie uns noch eine Weile erhalten bleiben, denn rückblickend sind die Retortenbands auch schon deutlich älter als man meinen mag. Lediglich der Schauplatz hat sich in die Öffentlichkeit verlagert.

Retortenbands vergangener Tage

Junge Menschen lassen sich im Fernsehen castenAußer, dass die Castings selbst zum lukrativen Geschäft für die Öffentlichkeit geworden sind, gibt es die „Zusammenwürfelungen“ von Menschen, die singen können schon deutlich länger. Entsprechend bezeichnete man als Retortenband ursprünglich eine Gruppe, die nicht selbst zusammengefunden hat, sondern von der Musikindustrie gezielt zusammengecastet wurde. Sowohl der Musikstil als auch das Image und die Geschichten der Mitglieder waren dabei von vorn herein bestimmt und aus jedem Blickwinkel auf den kommerziellen Erfolg der Gruppe ausgerichtet. So gelten „The Monkees“ aus den 1960er als erste Retortenband, die als direkte Antwort auf die Beatles zusammengestellt wurde. Was die Bandmitglieder verbindet, ist lediglich der Vertrag mit dem entsprechenden Musikstudio. Die Musik wird im Hintergrund komponiert und Texte werden von Dritten geschrieben. Die Retortenband selbst soll den mittelmäßigen Pop dann möglichst effektiv verkaufen, was in vielen Fällen auch gelingt – kurzfristig jedenfalls. Auch aus heutiger Sicht Klassiker wie die Village People, Boney M., Milli Vanilli oder die New Kids on the Block waren nicht mehr als Castingprodukte der Musikindustrie. Und das ist des Pudels trauriger Kern, dass die schöpferische Kunst der Musik durch die formellen Castingbands zum reinen, kommerziellen Produkt verkommen ist.

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Über Stephan Lenz

Stephan Lenz studierte Philosophie, Soziologie und Anglistik an der Universität Mannheim. Es folgten schriftstellerische Fortbildungen und die freiberufliche Arbeit als Autor und Journalist. Neben unzähligen Artikeln in diversen Magazinen, veröffentlichte er Prosa im Charon Verlag, Hamburg, sowie im Wortkuss-Verlag, München. Er gehört seit vielen Jahren zum festen Stamm der Redaktion des Artikelmagazins.