Wie hart das Leben sein kann wissen wohl die meisten von uns, doch die volle Härte am eigenen Leib zu spüren, müssen in den Industrieländern jedenfalls glücklicherweise nur die Wenigsten. Sollte man meinen. Denn auch in den reichen Ecken der Welt, wo das Glück gepachtet zu sein scheint, zieht die Armut immer weitere Kreise, mancherorts gar in einem Maße, dass das Geld ehemals hart arbeitender Menschen noch nicht einmal mehr für ein Dach über dem Kopf reicht, besser noch, für nicht mehr als für das eigene Auto. Besonders in den USA, wo es an sozialen Auffangmöglichkeiten mangelt, bleibt solchen Menschen dann oftmals keine andere Alternative als das Leben auf den übriggebliebenen vier Rädern zu fristen und den Großteil der Zeit, sowie die Nachtruhe dann tatsächlich im Auto zu verbringen. Car Dweller nennen sich solche Menschen, die nur eine dünne Blechschicht weit von der Obdachlosigkeit entfernt sind.
Immobilienkrise verstärkte den Trend zum Car Dwelling
Für die nur am Rande Betroffenen der Wirtschaftskrise im Jahre 2008 äußerte sich der Missstand überwiegend in schwarzmalerischen Artikeln der Medien, bei einigen auch in roten Zahlen des Aktien-Depots, doch verschwand die Krise mit dem Abklingen nicht nur aus den Schlagzeilen, sondern bei den meisten auch wieder aus dem Bewusstsein. Doch im Ursprungsland der Immobilienkrise blieb die globale Beinahe-Katastrophe nicht ohne Folgen und so verloren in den Vereinigten Staaten von Amerika, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten also, viele Menschen ihren Job, ihr Haus, manche gar ihre Familie und damit alles, was sie einst hatten. Was blieb, war das Auto, das fortan nicht mehr nur Transportmittel, sondern letzter zu greifender Strohhalm war, um ein halbwegs normales Leben führen zu können, bei dem man nicht jede Nacht um das eigene Leben fürchten muss. Doch die Autos sind nicht zu verwechseln mit komfortablen Wohnwagen, die auf den sogenannten Trailerparks verarmte Wohnsiedlungen bilden, nein, solche Wohnwagen wären Luxus für die Car Dweller. Was ihnen blieb, ist meist nur das, was man gemeinhin als Schrottlaube bezeichnen würde. Dabei fragt die US-amerikanische Armut nicht nach der Herkunft ihrer neuen Mitglieder, ob Innenarchitekt oder Hilfsarbeiter, eine soziale Sicherung für warme vier Wände gibt es nicht. Entsprechend finden sich viele Menschen aus der Mittelschicht urplötzlich in ihrem Wagen als neue Wohnung wieder.
Kaum ein Unterschied zu echter Obdachlosigkeit
Auf den ersten Blick mag das Leben im Auto deutlich besser klingen, als den Rest seines Lebens unter Brücke verbringen zu müssen, doch offenbaren sich bei genauerem Blick die Defizite bei solch einem Leben, das es unterm Strich zumindest nicht viel besser macht als das eines Obdachlosen. So ist die scheinbare Mobilität durch die Benzinkosten schon von vorneherein massiv eingeschränkt. Wer kaum Geld für Lebensmittel aufbringen kann, wird auch nicht quer durch das Land fahren können. Also wird ein Platz benötigt, wo man ungestört sein neues Leben im Auto verbringen kann. Und hier lauert schon das nächste Malheur. Denn viele Anwohner fühlen sich durch die Dauerparkerei der Car Dweller belästigt und genervt, sodass in einigen Bundesstaaten hohe Strafen für dauerhaft parkende Autos anfallen können, die als Wohnersatz dienen. Ist so eine Strafe dann erst einmal verhängt und man kann diese nicht bezahlen, so wird das Fahrzeug konfisziert und der Besitzer ist genau das, was er so verzweifelt zu verhindern suchte: obdachlos. Um das möglichst umgehen zu können haben wohltätige Organisationen wie die Heilsarmee, ganze Parkplätze angemietet, auf denen die Car Dweller ihre „Wohnungen“ abstellen können, ohne gleich vertrieben zu werden. Doch das Problem der mangelnden Hygiene ist damit nicht gelöst. Denn wie jeder weiß verfügen Autos nicht über sanitäre Einrichtungen und wie und wo die menschlichen Bedürfnisse und die Körperpflege der Car Dweller verrichtet werden lässt sich an zwei Fingern abzählen.
Eine Anleitung für Car Dweller
Obwohl die Heilsarmee wirklich bemüht ist, den Mitbürgern ohne vier Wände eine Bleibe zu bieten, können unmöglich alle Menschen versorgt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass das Phänomen der Car Dweller kein zeitweiliges ist, sondern die Zahl derer in den letzten Jahren noch massiv angestiegen ist und in Zukunft vermutlich auch weiterhin steigen wird. Statistiken gibt es zwar keine, doch aufgrund der Anzahl an täglichen Zwangsversteigerungen in den USA wohl düstere Prognosen, was die Verarmung und den Hausverlust des Mittelstandes betrifft. Und um die Ernsthaftigkeit des Problems zu erkennen, ist es nicht notwendig vor Ort zu sein. Ein Blick in die englischsprachige Howto-Wiki (siehe Infokasten) – ein Lexikon mit von Besuchern verfassten Anleitungen zu allen möglichen Themen – zeigt die Dramatik der Car Dwelling-Bedrohung. Denn dort existiert eine detaillierte Anleitung für ein Leben im Auto. So erhält der US-amerikanische Mittelstand zumindest schon frühzeitig die Möglichkeit sich zu informieren, wie man das neue Leben auf vier Rädern am sinnvollsten und effektivsten angehen kann.
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