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Sozialbetrüger:

Italiens falsche Invaliden

Sie kosten den italienischen Staat jährlich Millionen: Scheininvalide – In Italien wurden tausende von Sozialbetrüger aufgespürt. Die Topfit sind.

Die Polizei in Neapel zeigt gefälschte BehindertenausweiseDie italienische Finanzpolizei hat im ersten Halbjahr 2012 mehr als 3400 angebliche Frührentner, Erwerbsunfähige und Arme aufgespürt, die widerrechtlich Renten oder Pensionen beziehen und soziale Unterstützung kassieren. Damit ist der Staat in den ersten sechs Monaten des Jahres um mehr als 60 Millionen Euro geprellt worden. Allein die Frührentner, „Baby-pensionati“ genannt, geraten Jahr für Jahr auf der Apennin-Halbinsel zur schweren finanziellen Belastung. Die  zentrale Steuerbehörde in Rom kann die Zahl der falschen Frührentner zwar nicht beziffern, weil ihr offenbar noch geeignete Kontrollmechanismen fehlen. Sie geht aber davon aus, dass jährlich rund 12.000 hinzukommen; besonders im Süden des Landes. Kein  Wunder also, dass der Kampf gegen diese Art von Betrug zu einem der Hauptanliegen der Regierung vom Ministerpräsident Monti geworden ist; wenn auch bislang ohne durchschlagenden Erfolg.

Ein Gespinst der Begünstigung

Insgesamt ist es auf der Apenninen-Halbinsel eine alte und immer wieder beklagte Geschichte: Wer sein Ticket zum Besuch eines Heimspieles des Fußballclubs SSC Neapel aus eigener Tasche bezahlt, gehört zu den „Gescheiterten der Stadt“. Das ist ein böses, sarkastisches – und zugleich wahres – Wort des Philosophen Luciano De Crescenzo, der zu den intimsten Kennern der neapolitanischen Volksseele gehört. Es beleuchtet jenes Gespinst der Begünstigung und Bereicherung, das seit jeher vor allem im Süden Italiens Ausdruck von Klientel- und Vetternwirtschaft ist. Zu Wahlkampfzeiten steigt die Zahl der Ehrenkarten. Viele von denen, die in Napoli ihre Mannschaft im Stadion San Paolo unterstützen, haben entweder eine Ehrenkarte – oder einen Invalidenausweis. Die Ehrenkarte weist ihren Besitzer als jemanden aus, der in der Gunst eines anderen wichtigen Menschen steht. Sei es ein einflussreicher Beamter, ein Unternehmer oder ein Politiker. So kommt es beispielsweise, dass in Wahlkampfzeiten die Zahl der Ehrenkartenbesitzer sprunghaft ansteigt und die Stadionränge gut gefüllt sind.

Die gelben Dokumente sind heiß begehrt

Gefälschte Invalidenausweise sind in Itlaien beliebt - da sie mit etlichen Vergünstigungen verbunden sind.Der Invalidenausweis jedoch gilt als ein noch bedeutenderes Gütesiegel, denn dessen Besitz bringt mehrfachen Gewinn. Er ist ein Sesam-öffne-dich nicht nur für Stadiontore, sondern auch für öffentliche Verkehrsmittel oder der Schlüssel für frühzeitige Rentenzahlung – schließlich für reduzierte Kfz-Steuer und kostenfreie Parkplätze in den Zentren der überfüllten Städte. So hatte die Polizei, diesmal nicht in Neapel, sondern in Palermo, vor einiger Zeit eine Razzia gestartet, um Inhaber falscher Invalidenausweise aufzuspüren. Mit einigem Erfolg: rund 22.000 gefälschte oder auf betrügerische Weise ergaunerte echte gelbe Dokumente wurden eingezogen. Es waren Ausweise längst gestorbener Familienangehöriger. Auch Ausweise, die mit Hilfe gefälschter Atteste erworben worden waren. So wurden Erinnerungen wach an die Amtszeit des früheren, aus Palermo stammenden römischen Postministers Carlo Vizzini. In seinem Ministerium waren fast im Akkord Invaliditätsbescheinigungen verkauft worden, zu Preisen bis zu seinerzeit 30 Millionen Lire, nach heutigem Wert etwa 15.000 Euro. Das Beispiel  ließe sich fortsetzen: Im Vorfeld der letzten Regionalwahlen vor zwei Jahren wurde Fälle bekannt, in denen Rentnerausweise gegen Wahlstimmen „verhökert“ wurden. Die Behörden sprechen von einem kriminellen Netzwerk.

Der Beinamputierte spielte eifrig Fußball

Italiens falsche Invaliden, das war und ist immer wieder ein teilweise tolldreistes Spiel vor den Augen einer amüsierten Öffentlichkeit. Über lange Jahre hinweg wurde dieses Spiel kaum geahndet. So erzählen Spötter die Geschichte von dem „Blinden“ aus Spoleto, der seine Rente bezog und sie gleichzeitig als Chauffeur eines Stadtverkehrsbusses aufbesserte. Da gab es den mit Brief und Siegel beglaubigten Beinamputierten, der eine Stütze der heimischen Fußballmannschaft war, und da gab es das Dörfchen Militello Rosmarino in Sizilien: etwa 500 der insgesamt 1200 Einwohner firmierten als Lahme, Blinde, Sieche mit vorzeitigem Rentenanspruch. Und eigentlich ist es ein Zeichen von Hilflosigkeit, dass die Carabinieri auf Weisung der Regierung jetzt dazu übergegangen sind, mit Videokameras in den Postämtern, wo die Renten traditionsgemäß ausgezahlt werden, die in der Schlange stehenden Rentner zu überprüfen.

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Über Klaus J. Schwehn

Nach 25 Jahren spannender Tätigkeit als Parlamentskorrespondent in Bonn (Badische Zeitung, Die Welt, Berliner Tagesspiegel) lebe ich heute in Oberitalien. Meine Arbeitsschwerpunkte sind Politik und Gesellschaft in Italien und Deutschland; aber auch Fragen der Europäischen Union.