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Reality TV extrem:

Zum Tode verurteilte Chinesen zur Prime Time

In China wurden Menschen, die man zum Tode verurteilt hatte, kurz vor ihrer Hinrichtung im Reality TV zum Interview vorgeführt.

Reality-TV in China - Todeskandidaten werden im Fernsehen vorgeführtIn Deutschland fragen sich Experten und Zuschauer gleichermaßen des Öfteren, wie weit die Fernsehsender eigentlich noch in ihren ausufernden Reality-Shows gehen wollen. Da lassen sich Möchtegern-Stars für ein paar läppische Euro im Dschungelcamp demütigen, Großfamilien in der täglichen Alltags-Show bloßstellen und Paare tragen ihre Probleme, die eigentlich zur Intimsphäre gehören, vor laufender Kamera aus. Doch was bei uns schon teilweise für Diskussionsstoff sorgt, wurde in China bis vor kurzem auf die Spitze der Perversion getrieben. „Interviews vor der Hinrichtung“ hieß eine Fernsehsendung, bei der zum Tode verurteilte Chinesen kurz vor ihrem Tod den laufenden Live-Kameras eines Senders vorgeführt wurden.

Todeskanditen zur besten Sendezeit

Ganze fünf Jahre lief die nun empörende Sendung im chinesischen Justiz-Kanal in der Provinz Henan am Samstagabend zur besten Sendezeit. Viele Chinesen schalteten ein und ließen sich von den Interviews mit den Todeskandidaten unterhalten, doch viele Einwohner bekamen die geschmacklose Sendung des Provinzkanal auch niemals zu Gesicht. Die Moderatorin Ding Yu führte durch die Sendung und konfrontierte die Verurteilten mit teilweise unbequemen Fragen, auf welche die Verbrecher sehr unterschiedlich reagierten. So mancher bereute seine Tat vor laufender Kamera, der eine oder andere machte sich über das gesamte Interview lustig, doch standen die meisten Befragten resigniert Rede und Antwort. Die Interviews wurden dabei sogar noch auf dem Weg zur Hinrichtung fortgeführt und je nach Laune der Moderatorin, bekundete sie bei reuelosen Verbrechern auch ihre Freude, dass diese nun zum Schafott geführt würden.

Sendung mit abschreckendem Beispiel

Prime Time - Ein Interview mit einem zu Tode verurteilten kurz vor der HinrichtungDie Macher der Sendung waren nicht nur zufrieden mit ihrem fragwürdigen TV-Konzept, sondern regelrecht stolz darauf. Denn es sollte nicht nur unterhalten, sondern gleichzeitig ein abschreckendes Beispiel für kriminelle Chinesen sein. Vorgeführt wurden entsprechend aber nur Gewaltverbrecher und Mörder. Dass man in China unter Umständen schon für die Organisation einer Demonstration zum Tode verurteilt werden kann, hielt sich dabei gepflegt im Hintergrund. Wie viele Menschen tatsächlich jedes Jahr in China hingerichtet werden ist ein Staatsgeheimnis, jedoch schätzen Experten die Zahl auf etwa 4.000. Was Menschenrechtler Nicholas Bequelin an der ganzen Situation verurteilt, ist die Tatsache, dass die Todesstrafe in einem verschlossenen System verhängt wird, wobei die Unabhängigkeit der Gerichte, sowie grundlegende Rechte anzuzweifeln seien. Doch diese Problematik ist eine ganz eigene und hat nur am Rande mit der Fernsehshow zu tun. Denn was für weltweites Entsetzen gesorgt hat, war nicht zuletzt die Art und Weise, wie die Interviews geführt wurden. Moderatorin Ding Yu ging Berichten zufolge nicht gerade zimperlich zur Sache, sondern reißerisch mit Hang zur Rücksichtslosigkeit.

BBC Dokumentation führt zu weltweitem Skandal

Die Macher selbst sahen in ihrer Sendung jedoch scheinbar nichts verwerfliches, denn diese höchst selbst waren es, die dem britischen Fernsehsender BBC erlaubten, eine Dokumentation über die Fernsehsendung mit den Verurteilten zu machen. Unter dem Namen „Dead Men Talking“ sorgte die britische Dokumentation bereits vor ihrer Ausstrahlung für Aufsehen. Der Name der Sendung ist übrigens ein Wortspiel. In den USA werden zum Tode verurteilte Verbrecher während ihres Ganges zur Hinrichtung als „Dead Men Walking“ bezeichnet – also sinngemäß als „Tote laufende Männer“. Der Sender BBC wandelte die Bezeichnung für die chinesische Sendung sehr treffend zu „Dead Men Talking“ – „Tote Männer sprechen“ – um. Peking habe laut Berichten verschiedener Zeitungen umgehend auf die britische Dokumentation und die weltweite Entrüstung reagiert und die Sendung „Interviews vor der Hinrichtung“ abgesetzt. Auch im Internet sei der Link des Senders zu dem Programm gelöscht worden und diverse Einträge zur Sendung auf dem Blog der Moderatorin seien plötzlich verschwunden. Die Diskussionen um die Sendung werden jedoch sicherlich noch eine Weile anhalten.

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Über Stephan Lenz

Stephan Lenz studierte Philosophie, Soziologie und Anglistik an der Universität Mannheim. Es folgten schriftstellerische Fortbildungen und die freiberufliche Arbeit als Autor und Journalist. Neben unzähligen Artikeln in diversen Magazinen, veröffentlichte er Prosa im Charon Verlag, Hamburg, sowie im Wortkuss-Verlag, München. Er gehört seit vielen Jahren zum festen Stamm der Redaktion des Artikelmagazins.