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  • Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus

    Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und SPD-Parteichef Sigmar Gabriel bei einer Pressekonferenz in Berlin. Bild: © Et-Media

  • SPD-Parteichef Sigmar Gabriel ungewohnt leger

    Sigmar Gabriel feiert mit 500.000 Menschen am Brandenburger Tor das Jubiläum der SPD. Bild: © Et-Media

Bundestagswahl:

Sigmar Gabriel: Rot-Rot-Grün glasklar ausgeschlossen

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel gibt sich im Interview mit dem Artikelmagazin siegesgewiss. Die große Koaltion und Rot-Rot-Grün schließt er dennoch aus.

Sigmar Gabriel ist ein Parteichef, der besonders im Wahlkampf kraftvolle Aussagen liebt. Im Interview wettert er gegen „oberschlaue Demoskopen“, wirft der CDU im Bereich der Steuerpolitik „Wahlbetrug mit Ansage“ vor und ist sich sicher, dass es nicht zu einer Großen Koalition kommen wird.

Wagner: Herr Gabriel, es sind nur noch wenige Tage bis zur Wahl. Wie geht es Ihnen jetzt, wo die heiße Phase des Wahlkampfes Sie nicht nur jeden Tag, sondern auch ganztägig fordert?

Gabriel: Das ist natürlich auch ganz schön anstrengend – aber mir macht Wahlkampf vor allem richtig Spaß! Denn ich mag den direkten Kontakt mit den Menschen, die Diskussionen über die verschiedenen politischen Konzepte.

Wagner: Aber ist der tägliche Wahlkampf bei Diskussionsveranstaltungen, Firmenbesichtigungen, Fachgesprächen nicht auch ein Stück weit zermürbend für Sie?

Gabriel: Gar nicht. Man lernt dabei eine Menge. Ich frage beispielsweise bei den Betriebsbesichtigungen immer die Chefs, wie viele Mitarbeiter älter als 65 Jahre sind. Und die räumen dann immer ein, dass kaum einer es so lange schafft. Solche Erfahrungen sind natürlich in unser Rentenkonzept eingeflossen. Deshalb sagen wir: Wer 45 Jahre Beiträge gezahlt hat – Ausbildungs- und Kindererziehungszeiten eingeschlossen – soll eine abschlagfreie Rente bekommen.

Wagner: Glaubt man den Umfrageinstituten, wird es keine rot-grüne geben, sondern eher eine Große Koalition geben. Wie gehen Sie mit diesen Prognosen um?

Gabriel: Na, ich kämpfe! Die SPD hat in den vergangenen Jahren immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wir trotz mäßiger Umfragewerte am Ende noch gewinnen – zuletzt war das in Niedersachsen so. Ginge es nach den ganzen oberschlauen Demoskopen, wäre David McAllister noch immer CDU-Ministerpräsident. Aber Stephan Weill und die SPD haben auf den letzten Metern gewonnen. So wird es auch bei der Bundestagswahl sein.

Wagner: Inwieweit kann Ihre Stimmung trotz der aktuellen Zahlen weiter positiv sein?

Gabriel: Wissen Sie, wir haben gerade mit 500.000 Menschen am Brandenburger Tor in Berlin den 150. Geburtstag der SPD gefeiert. Ich kann mich nicht erinnern, wann eine Partei in Deutschland zuletzt so viele Menschen mobilisieren konnte. Solche Erlebnisse geben Kraft.

Wagner: Der frühere Wahlkampfmanager der SPD, Frank Stauss, hat dazu erklärt, das Deutschlandfest sei das Beste, was dem Wahlkampf der Partei passieren könne. Denn dieses Fest zeige, dass die SPD weiter präsent sei und weiter kämpfe. Wie stufen Sie die Wirkung des Deutschlandfestes ein?

Gabriel: Riesig. Auch, weil das da ja nicht nur alles SPD-Mitglieder waren. Alle konnten sehen: Die SPD kann kämpfen, sie kann aber auch feiern. Wir dürfen Politik nicht immer so super verbissen sehen. Das darf ruhig auch Spaß machen. Und dass die SPD stolz auf ihre großartige Geschichte ist, ist ja auch klar.

Wagner: Wie groß ist eigentlich Ihr Willen, Regierungsverantwortung zu übernehmen auf einer Skala von eins bis zehn?

Gabriel: Wir wollen regieren, na klar.

Wagner: Ihre Parteifreunde Sabine Dittmar und Johannes Kahrs fordern allerdings, eine Koalition mit der CDU platzen zu lassen, falls die CDU das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare nicht anerkennen würde. Gibt es da vielleicht noch weitere unverhandelbare Forderungen?

Gabriel: Es geht nicht um irgendwelche Posten oder Machtspielchen. Es geht um die Frage, ob wir das, was wir wollen, auch umsetzen können: einen gesetzlichen Mindestlohn, eine faire Bürgerversicherung, Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. All das geht nur mit den Grünen. Deshalb wollen wir mit denen regieren – und mit niemanden sonst.

Wagner: Peer Steinbrück hat unlängst festgestellt: „Die SPD hat im Jahr 1998 da draußen einmal 20 Millionen Wähler gehabt. Wenn wir zehn Millionen davon bekommen, dann reicht es“. Warum fällt es der SPD so schwer, diese zehn Millionen Wählerstimmen zu generieren?

Gabriel: Weil viele von denen kein Vertrauen mehr in die Politik haben. Das ist unsere eigentliche Aufgabe im Wahlkampf: den Menschen zu vermitteln, dass es wirklich um etwas geht. Dass die Politik gestalten will. Dass wir nicht länger zulassen dürfen, dass die Finanzmärkte die Regeln bestimmen und nicht demokratisch gewählte Parlamente. Ist die Wahlbeteiligung hoch, gewinnt die SPD. Ist sie niedrig, kann Merkel weiterregieren.

Wagner: Ist es vielleicht auch ein Problem, dass ein Volk in schwierigen Krisenzeiten keine Experimente wagen möchte und lieber bei dem bleibt, was es kennt? Nach dem Motto: „Schröders tiefgreifende ‚Agenda 2010‘-Reform war ein Wagnis, wer weiß, was uns bei Steinbrück erwartet?“

Gabriel: Das glaube ich nicht. Wir sagen ja klar, was wir wollen – und sind so ehrlich zu erklären, wie wir das finanzieren wollen. Etwa durch Steuererhöhungen, von denen 95 Prozent der Menschen gar nicht betroffen sind. Das unterscheidet uns von der CDU. Die verspricht 50 Milliarden Euro Mehrausgaben, Steuersenkungen und Schuldenabbau. Wer in der Schule bei den Grundrechenarten aufgepasst hat, weiß: Das kann nicht funktionieren. Das ist Wahlbetrug mit Ansage.

Wagner: Peer Steinbrück macht niemandem etwas vor, gilt als ehrlich in seinen Aussagen. Warum ist es für ihn so schwierig, mit seiner „klaren Kante“ Wähler anzusprechen?

Gabriel: Warten Sie mal ab! Ich bin sicher, dass sich all die, die uns jetzt in den Medien abschreiben, am 22. September die Augen reiben werden. Ehrlichkeit wird gewinnen.

Wagner: Inwieweit hat seine Geradlinigkeit beim TV-Duell überzeugen können?

Gabriel: Ich bin natürlich nicht wirklich objektiv. Aber Peer Steinbrück hat mich im TV-Duell schwer beeindruckt. Dass er bei all dem Druck nicht nur klar und präzise war, sondern noch witzig und locker – das war allererste Sahne.

Wagner: Steinbrück lehnt ja eine Große Koalition ab. Würde die SPD, falls möglich, trotzdem in die große Koalition gehen und dann auf Steinbrück verzichten?

Gabriel: Dazu wird es nicht kommen. Ich bin sicher: Rot-Grün schafft das. Dafür kämpft Peer Steinbrück, dafür kämpft die ganze SPD.

Wagner: Welche Möglichkeiten sehen Sie, mit den Linken zu koalieren?

Gabriel: Gar keine. Gregor Gysi hat ja mal gesagt, dass sich die unterschiedlichen Flügel dieser Partei hassen. Mit einem solchen Laden kann man nicht Deutschland regieren. Allein schon deshalb nicht, weil Sie bei der Linkspartei abends nicht sicher sein können, ob das, was sie morgens mit denen verabredet haben, noch gilt.

Wagner: Sofern Rot-Rot-Grün die einzige Möglichkeit wäre, Regierungsverantwortung zu übernehmen, würde sich die SPD darauf einlassen? Würde die SPD darüber hinaus verlangen, dass die potentielle Stasi-Vergangenheit aller an einer etwaigen Koalition Beteiligter noch einmal eingehend und zweifelsfrei beleuchtet wird?

Gabriel: Nein. Wir alle – Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und ich – haben Rot-Rot-Grün glasklar ausgeschlossen.

Wagner: Letzte Frage: Warum ist die SPD Ihrer Meinung nach die bessere Wahl im Vergleich zur CDU?

Gabriel: Oh, wie viel Zeit habe ich (lacht)? Wir wollen, dass alle, die Vollzeit arbeiten, von ihrem Lohn auch leben können – ohne als Aufstocker aufs Amt gehen zu müssen. Die CDU lehnt den Mindestlohn ab. Wir wollen mehr in Bildung und Kommunen investieren – und dafür die Steuern für besonders Wohlhabende erhöhen. Die CDU lehnt das ab. Wir wollen eine Bürgerversicherung, in der alle die bestmögliche Krankenversorgung und Pflege im Alter bekommen. Die CDU will weiterhin eine Zwei- bis Drei-Klassen-Medizin und –pflege. Reicht das?

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