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Vorurteile:

Übergewichtige werden im Beruf benachteiligt

Eine Studie offenbart Defizite in der sozialen Kompetenz von Personalern: Dicke Menschen werden bei der Beurteilung geringer eingeschätzt.

Dicke Menschen werden bei Bewerbungen benachteiligtWer glaubt, Vorurteile spielen in der Beurteilung von Bewerbungen keine oder nur eine untergeordnete Rolle, der denkt offenkundig an der Realität vorbei. Denn eine aktuelle Studie unter der Leitung des Sportwissenschaftlers Prof. Ansgar Thiel und des Psychosomatikers Prof. Stephan Zipfel von der Universität Tübingen zeigt, dass übergewichtige Menschen teilweise deutlich unterbewertet werden. So hatten bei der Untersuchung dicke Bewerber keine guten Karten bei den Personalentscheidern.

Die Studie im Überblick

Im Rahmen des WissenschaftsCampus Tübingen wurden zusammen mit Dr. Katrin Giel und Manuela Alizadeh 127 erfahrene Personaler zu ihrer Einschätzung von Bewerbungsfotos befragt. Um möglichst gleiche Voraussetzungen zu schaffen, trugen alle Personen auf den Fotos eine Jeans mit weißem T-Shirt und befanden sich in ähnlichem Alter. Die Studienteilnehmer hatten die Aufgabe den Menschen auf den Fotos einen der angegebenen Berufe zuzuordnen, sowie zu beurteilen, welche Chancen sie in einem Bewerbungsgespräch für eine Stelle als Abteilungsleiter hätten. „Die Ergebnisse unserer Studie sind eindeutig“, fasst Dr. Giel zusammen. „In beiden Fällen schnitten die Übergewichtigen sehr schlecht ab. Ihnen wurde fast nie ein Beruf mit hohem Prestige zugetraut und sie wurden ebenso selten für eine Abteilungsleiterstelle ausgewählt“.

Frauen waren besonders stark betroffen

Ein Vergleich mit repräsentativen Daten zur Berufsverteilung in der Bevölkerung zeigte, dass die Karrierechancen von übergewichtigen Menschen massiv unterschätzt wurden. So ist der tatsächliche Anteil an übergewichtigen Männern in prestigereichen Positionen mehr als fünf Mal so hoch, wie es die Personaler der Studie eingeschätzt hatten. Bei Frauen überstieg der reale Wert gar das Achtfache der Schätzung. Grundsätzlich waren die Vorurteile gegen übergewichtige Frauen höher:  „Nur zwei Prozent der befragten Personaler ordneten den auf den Bildern abgebildeten adipösen Frauen einen Beruf mit hohem Prestige zu. Und gerade mal ungefähr sechs Prozent der Befragten traute ihnen zu, bei einer Bewerbung um eine Abteilungsleiterstelle in die engere Auswahl gekommen zu sein“, so Prof. Ansgar Thiel. Auffällig war, dass beim Geschlecht der normalgewichtigen Bewerber jedoch nicht unterschieden wurde, was zeigt, dass die „political correctness“  hierbei besser verankert scheint, als bei den Vorurteilen gegen Übergewicht.

Das Bewerbungsfoto bald Geschichte?

Schon vor einiger Zeit war es im Gespräch, die Fotos aus den Bewerbungen außen vor zu lassen, um mögliche Benachteiligungen aufgrund des Äußeren zu verhindern. Die aktuelle Studie verdeutlicht noch einmal, wie wichtig dieser Schritt tatsächlich wäre. Denn auch wenn die Personalentscheider besonders ausgebildet werden, die Bewerber möglichst objektiv zu beurteilen, sorgen unbewusste Vorurteile für eine Beeinflussung der Entscheidung. Im angloamerikanischen Raum ist es bereits seit einiger Zeit üblich, einer Bewerbung keine Fotos beizulegen. Für die Wissenschaftler erachten es auch im deutschsprachigen Raum als überfällig, nach diesem Vorbild zu verfahren. Denn sonst, so resümiert Dr. Thiel „ist für stark Übergewichtige das [Bewerbungs-]Verfahren möglicherweise schon zu Ende, bevor es richtig angefangen hat.“ Und genau das sollte in der modernen Arbeitswelt eben nicht der Fall sein.

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Über Stephan Lenz

Stephan Lenz studierte Philosophie, Soziologie und Anglistik an der Universität Mannheim. Es folgten schriftstellerische Fortbildungen und die freiberufliche Arbeit als Autor und Journalist. Neben unzähligen Artikeln in diversen Magazinen, veröffentlichte er Prosa im Charon Verlag, Hamburg, sowie im Wortkuss-Verlag, München. Er gehört seit vielen Jahren zum festen Stamm der Redaktion des Artikelmagazins.