Startseite / Wissenschaft / Natur & Umwelt / Plastik in der Tiefsee wird zur tickenden Zeitbombe

Umweltbelastung:

Plastik in der Tiefsee wird zur tickenden Zeitbombe

In der arktischen Tiefsee lagert sich immer mehr zivilisatorischer Plastikabfall ab und richtet auf Jahrhunderte ökologischen Schaden an. Tiere und Umwelt leiden.

Eine Plastiktüte unter Wasser

Umweltverschmutzung: Eine Plastiktüte treibt unter Wasser. Bild: © picture alliance / Wolfgang Poelzer/WaterFrame

Wer Mitte der neunziger Jahre in einem irischen Supermarkt eingekauft hat, staunte nicht schlecht darüber, wie schnell Berge von Lebensmitteln hinter der Kasse von eigens dafür abgestelltem Personal in Plastiktüten verfrachtet wurden. Massen von Plastiktüten. Hatte man eine eigene Tasche dabei, war man sogleich als Ausländer enttarnt. Die Wege des Plastikmülls indes sind nicht unergründlich, denn Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven haben ihn aufgespürt: in der arktischen Tiefsee.

Doppelt so viel Abfall wie vor zehn Jahren

Die Studie entstand eher zufällig: Denn wenn die Wissenschaftler des AWI mit der Polarstern an der „Hausgarten“-Station in der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen unterwegs sind, dann primär, um die Tiefseebewohner zu erforschen. Seegurken, Seelilien, Schwämme, Fische und Garnelen leben dort etwa. Und diese werden mittels OFOS fotografisch erfasst. OFOS, in Langform Ocean Floor Observation System, ist ein ferngesteuertes Kamerasystem.

Ein Bauchgefühl war es, das die Biologin Dr. Melanie Bergmann veranlasste, mehr als 2.100 OFOS-Fotos vom Meeresboden des Tiefsee-Observatoriums Hausgarten auf Plastikreste und anderen Müll hin zu untersuchen. In 2.500 Metern Tiefe sind die Aufnahmen entstanden. Das Ergebnis: „Bei den Aufnahmen aus dem Jahr 2002 finden sich auf rund einem Prozent der Fotos Müllreste, in erster Linie Plastik. Bei den Bildern aus dem Jahr 2011 machten wir dieselbe Entdeckung auf rund zwei Prozent der Fotos. Die Müllmenge am Meeresgrund hat sich also verdoppelt.“

Plastikmüll in entlegenen Gegenden

Zwei Prozent, das klingt vielleicht nicht viel. Doch befindet sich die Station des AWI nicht bei einer Millionenmetropole, sondern in der ziemlich abgelegenen arktischen Tiefsee. Das Ausmaß des Mülls ist vergleichbar jenem, das in Tiefseegräben nahe Lissabon gefunden wurde. Die Tiefsee des Arktischen Ozeans ist also mitnichten eine unberührte Region – der von Menschen produzierte Müll findet sich auch hier.

Melanie Bergmann benennt einen vermuteten Zusammenhang mit dem Abschmelzen des arktischen Meereises: „Die arktische Meereisdecke wirkt normalerweise wie eine Barriere. Sie verhindert, dass Wind Müll vom Land aus in das Meer weht und versperrt den meisten Schiffen den Weg. Seitdem die Eisdecke jedoch regelmäßig schrumpft und dünner wird, hat der Schiffsverkehr stark zugenommen. Wir beobachten inzwischen dreimal mehr Privatjachten und bis zu 36 mal mehr Fischereischiffe in dieser Region als noch vor dem Jahr 2007.“

Tiefseebewohner leiden unter Plastikresten

Tiere und Umwelt leiden unter dem Zivilisationsmüll am Meeresgrund. Bergmann berichtet von in Schwämmen verfangenen Plastiktüten und Seelilien auf Flaschen. Dies ziehe unter anderem Verletzungen nach sich und daraus resultierend eine verminderte Aufnahme von Nahrung und ein geringeres Wachstum sowie Störungen der Atmung. Hinzu kommt die toxische Wirkung des Plastikabfalls: „Aus anderen Untersuchungen weiß man, dass Plastiktüten, die auf den Meeresboden sinken, die Gas-Austauschprozesse an dieser Stelle verändern können. Der Sediment-Boden darunter wird dann zur sauerstoffarmen Zone, in der nur wenige Organismen überleben“, so Bergmann. Die Zusammensetzung der Arten am Meeresboden könnte sich so langfristig verändern.

…und am Ende der Mensch

In dieser Studie ging es dabei nur um (Plastik)Müll, der mit bloßem Auge erkennbar ist. Der verrottet in der Tiefsee noch langsamer als ohnehin schon. Bergmann: „Plastikteile, die in die Tiefsee hinabsinken, zerfallen nicht so schnell in Mikropartikel wie es zum Beispiel am Nordseestrand der Fall ist. Dazu fehlen in 2500 Metern Tiefe sowohl das Sonnenlicht als auch die stärkere Wasserbewegung. Stattdessen ist es dort unten dunkel und kalt. Unter diesen Bedingungen kann Plastikabfall wahrscheinlich Jahrhunderte überdauern.“

Ein ebenfalls gravierendes Problem sind die beim Zerfall entstehenden Mikroplastikpartikel. Mikroskopisch klein, werden diese wiederum von Fischen und Kleinkrebsen gefressen – und landen auf unserem Teller. In Irland ist man indes zur Besinnung gekommen: Im Jahr 2002 wurde dort eine Steuer auf Plastiktüten eingeführt. Innerhalb eines Jahres sank ihr Umsatz um 90 Prozent.

Die Top Ten der weltweit häufigsten Müllteile im Meer:

Platzierung:Bezeichnung:Abbaugeschwindigkeit:
1.Zigaretten/ Zigarettenfilter./.
2.Tüten (Plastik)1-20 Jahre
3.Lebensmittel-verpackungen./.
4.Deckel/ Verschlüsse./.
5.Getränkeflaschen (Plastik)450 Jahre
6.Tassen, Teller, Gabeln, Messer, Löffel (Plastik)50 Jahre
7.Glasflaschen./.
8.Getränkedosen200 Jahre
9.Strohhalme, Rührstäbchen (Plastik)./.
10.Papiertüten2-6 Wochen
Quelle: World Ocean Review

 

© Pixel Trader Ltd. 2013 Alle Rechte vorbehalten

Über Lucy M. Laube

Lucy M. Laube ist eine freie Journalistin und diplomierte Sozialwissenschaftlerin. Zu ihren bisherigen beruflichen Stationen zählen unter anderem Radio Bremen, Greenpeace und das Goethe-Institut. Seit Anfang 2012 schreibt sie als Redakteurin für das Artikelmagazin.