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Sozialpsychologie

Das Guttenberg-Paradoxon: Wann macht ein Missgeschick attraktiv?

Oktoberfest: Karl-Theodor zu Guttenberg auf dem Oktoberfest - MünchenWenn ein „Normalo“ oder gar ein ausgewiesener Underdog vor Publikum Mist baut, dann ist dem Pechvogel die Häme und die Missbilligung der Mitmenschen sicher. Dabei gehen dann auch die zuvor schon eher bescheidenen Sympathiewerte nochmals drastisch in Richtung Keller. Verblüffenderweise ist die gefühlte Sachlage gänzlich umgekehrt, wenn einer anerkannten Lichtgestalt ein öffentliches „Hoppala“ widerfährt. Dann wirkt nämlich das exakt gleiche peinliche Szenario auf einmal sympathisch menschlich. Was hat die wissenschaftliche Sozialpsychologie zu diesem merkwürdigen Messen mit zweierlei Maß zu sagen? Und warum kann der „Missgeschick-Effekt“ ab sofort in „Gutti-Paradoxon“ umgetauft werden?

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Selbe

Im Jahre 1966 wurden die Ergebnisse einer psychologischen Untersuchung von Aronson & Co. veröffentlicht, die auch über die Grenzen des Elfenbeinturms hinaus für Aufsehen sorgten. Dabei wurden die arglosen Versuchsteilnehmer mit Menschen konfrontiert, die als sehr sympathisch, als neutral oder als ziemlich unsympathisch eingestuft worden waren. Passierte dem unauffällig daherkommenden Menschen ein Missgeschick, schien sich dies auf die ihm entgegengebrachte Wertschätzung nicht weiter auszuwirken. Geschah dem designierten Unsympathen exakt das Gleiche, ergaben sich dagegen eindeutige und deutliche Reaktionen des Ekels und der Abscheu.

Nach dem Motto: Schau Dir nur diesen Trottel an. Typisch, dass so einem Schmierlappen so etwas passiert. Und wieder ein ganz anderes Bild zeichnete sich ab, wenn der Sympathieträger von dem experimentell verursachten Standard-Malheur heimgesucht wurde. Das brachte ihm satte Bonuspunkte ein, wobei hier der einhellige Tenor lautete: Wie nett und menschlich, dass so einer perfekten Person auch mal ein kleiner Lapsus passiert. Da sieht man, dass auch Götter nicht unfehlbar sind. Sehr sympathisch!

Mit anderen Worten: Ob es einem die Leute krummnehmen, wenn man mal in ein geräumiges Fettnäpfchen getreten ist, oder ob sie fröhlich und freundlich dazu schmunzeln und applaudieren, hängt im Wesentlichen davon ab, wie hoch der Gelackmeierte vor dem Missgeschick in der Publikumsgunst stand. Nun könnte man dieser schon etwas angegrauten psychologischen Studie prinzipiell vorwerfen, dass deren Befunde außerhalb der Schutzatmosphäre des Forschungslabors nicht überlebensfähig wären. Dieser Einwand wurde allerdings von keinem Geringeren als Karl-Theodor zu Guttenberg vollständig entkräftet.

Das „Gutti-Paradoxon“ als adelige Variante des „Pratfall Effect“

Was Aronson & Co. seinerzeit als den „Pratfall Effect“ („Pratfall“ auf Deutsch: Ein Plumps auf den Allerwertesten) entdeckten, wird heute als „Gutti-Paradoxon“ sehr konkret mit neuem Leben gefüllt. Da kommt einer daher, den die Menschen lieben, als Lichtgestalt verehren und als Mega-Sympathieträger vergöttern.

Und dann stellt sich doch tatsächlich heraus: Dieser schneidige Publikumsliebling hat doch wahrhaftig geschummelt. So wie Du und ich auch manchmal ein bisschen flunkern. Derart geballt entwaffnende Menschlichkeit erzeugt einen freundlichen Gott zum Anfassen, ein herrliches Wir-Gefühl, eine Begegnung auf Augenhöhe mit einem Überirdischen. Kein Wunder, dass das Volk auf die Straße geht, und seinen „Gutti“ wieder in Amt und vor allem in Würden sehen will.

Ein besserer Beweis dafür, dass akademische psychologische Forschung auch ab und dann mal wirklich etwas mit dem echten prallen Leben zu tun haben kann, wurde wohl selten so überzeugend geliefert.

Quelle:

The Pratfall Effect; Aronson, E., Willerman, B. and Floyd, J. (1966) The effect of a pratfall on increasing interpersonal attractiveness, Psychonomic Science 4: 227-8.

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