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Ohrwurm – Wenn die Platte im Kopf einen Sprung hat

Ein Ohrwurm ist harmlos, kann aber ganz schön nerven. Warum halten sich manche Lieder so hartnäckig im Kopf? Die Psychologie hat die Antwort.

Ohrwurm - Die Melodie im Kopf.

Ist man erst einmal vom Ohrwurm befallen, bekommt man ihn nicht so schnell aus dem Gehirn. Bild: © fotolia.de

Die Wise Guys kennen den Ohrwurm gut: Überall, wo man sich auffällt, ist auch er, selbst nachts spielt der aufdringliche Geselle unermüdlich seine Melodie und wenn die Freundin wegläuft, frohlockt er auch noch: „Was solls, Du hast ja mich!“ Irgendwann nervt es nur noch. Solange es sich um das Lieblingslied handelt, ist ein Ohrwurm meist eher nicht das Problem. Aber je häufiger die Melodie erklingt, um so weniger mögen die meisten sie hören. Schon Freud befasste sich mit diesem Phänomen und sah darin – natürlich – das Zeichen für unbewusste Wünsche. Seitdem beschäftigen sich immer wieder Psychologen mit der gesprungenen Platte im Kopf. Deutschland erlag zuletzt einem kollektiven Ohrwurm, als Lena Meyer-Landrut in Oslo mit „Satellite“ abräumte. Auch der Aufguss „Schland oh Schland“ von Uwe Lena zur Fußballweltmeisterschaft im gleichen Jahr sorgte dafür, dass das ganze Land im gleichen Takt durch den Tag wippte. So was gefällt dem gemeinen Ohrwurm.

Dem Ohrwurm auf der Spur

Ein Ohrwurm ist tückisch. Niemand weiß, wann er kommt, wann er geht, warum er auftaucht. Manchmal reicht das einmalige Hören einer Melodie, dann wieder müssen es viele Wiederholungen sein. Es ist ganz egal, welche Musik man hört – jede kann sich durch den Gehörgang pfriemeln und im Kopf einnisten. Meist hängt der individuelle Geschmack und die Häufigkeit des Hörens direkt mit dem Wurmaufkommen zusammen – hört man also eher Pop-Musik, wird der eigene Ohrwurm auch eher unterhaltend daherkommen. Der Klassik-Fan kann sich aber nicht in Sicherheit wiegen, er wird genau so vom Ohrwurm befallen, nur eben von einem klassischen.

Häufig tritt er dann auf, wenn Emotionen mit im Spiel sind. Bei starken Gefühlsregungen gräbt sich eine Melodie eher ins Hirn, als wenn die Musik ganz schmucklos tönt. Bislang ging man davon aus, dass jedes Lied, dass einen vom Hocker reißt und zum Tanzen zwingt, die gleichen Ohrwurmchancen hat wie eine Melodie, wegen derer man augenblicklich die Quelle des Übels zertrümmern könnte. In diesem Jahr fanden Wissenschaftler aus den USA aber heraus, dass positiv bewertete Lieder eher eine Chance haben, einen ganz Karussell zu machen im Kopf.

Im Grunde kann es jeden treffen, aber Musiker und Frauen sind häufiger Opfer von Wurmattacken. Manche Menschen trifft es laufend, andere selten; manchmal tönt das Kopflied nur ganz kurz, es kann sich aber auch schon mal für Wochen einnisten.

Den perfekten Ohrwurm schreiben

Wer als Musiker bekannt sein möchte, sollte einen Ohrwurm schreiben. Aber so leicht ist das gar nicht. Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sogenannte Hooks braucht, damit aus einer Melodie ein Ohrwurm wird. Das sind Passagen, die einen hohen Wiedererkennungswert haben und daher häufig durch Alltagsreize ausgelöst werden können. Es stimmt zwar, dass solche Hooks häufig in Ohrwürmern enthalten sind, aber notwendig sind sie nicht. Zumal es auch eine Reihe von sehr simplen Liedern gibt, die trotzdem nicht zum Ohrwurm werden.

Die derzeitige wissenschaftliche Meinung ist, dass die eingenisteten Melodien die ganze Zeit im Hinterkopf abgespielt werden – und manchmal werden sie aktiviert oder eben auch nicht. Zwei Situationen bieten den perfekten Nährboden für den Sprung in der Platte: Unter- oder Überforderung. Hat man also nichts zu tun, sucht sich das Gehirn offenbar Beschäftigung und findet eben manchmal ein Lied im Kopf. Wenn man heillos überfordert oder angespannt ist, schweifen die Gedanken ebenfalls schnell ab und prallen auf den Ohrwurm. Ist man allerdings befriedigend beschäftigt, hat der nervende Geselle meist keine Chance – moderate Gehirntätigkeit lässt den Ohrwurm verstimmen.

Eine andere Strategie gegen die Dauerschleife ist die des Vollendens. Da ein Ohrwurm normalerweise immer nur aus Teilen einer ganzen Melodie besteht, kann es helfen, das gesamte Lied zu hören, zu singen oder zu spielen, dann hat man der Platte über den Sprung hinweg geholfen und der Spuk ist vorbei.

Ohrwurm – Thema für unterbeschäftigte Psychologen?

Warum ist ein Ohrwurm für die Wissenschaft eigentlich so spannend? Gibt es nicht drängendere Probleme? Auf den ersten Blick mag das so aussehen, auf den zweiten Blick erlaubt das Phänomen aber Einblicke ins Gehirn. Denn genau das, was ein Ohrwurm macht, machen bei bestimmten Menschen auch Gedanken oder Handlungsimpulse. Das nennt man, wenn es pathologische Ausmaße annimmt, Zwang. Und so was nervt noch viel mehr als ein Ohrwurm. Das Gehirn bedient sich bei beiden Phänomenen offenbar ähnlicher Mechanismen, denn was gegen den Ohrwurm hilft, hilft auch gegen Zwänge. Und mit diesem Wissen kann man vielen Menschen helfen. Also ist der Ohrwurm doch auch nützlich.

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Über Manuela Käselau

Manuela Käselau ist Physiotherapeutin und Shiatsu-Praktikerin (GSD). Parallel studierte sie Phonetik, Niederdeutsche Linguistik und Systematische Musikwissenschaft an der Universität in Hamburg. Als freie Autorin schreibt sie für diverse Online- und Printmedien, hauptsächlich im medizinischen Bereich. Seit 2012 ist sie ein Mitglied der Redaktion.