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Paruresis – Wenn die Blase schüchtern ist

Probleme beim Wasser lassen auf öffentlichen Toiletten? Paruresis heißt das und ist kein Problem der Blase, sondern des Kopfes.

Paruresis - die Angst vor dem Toilettengang.

Wer unter Paruresis leidet, hat Probleme beim Wasserlassen auf öffentlichen Toiletten. Bild: © fotolia.de

Der menschliche Körper ist ziemlich schlau angelegt, so auch die Harnblase. Sie befindet sich im Becken und sammelt den von den Nieren unablässig abgegebenen Urin. Bei Erwachsenen liegt die maximale Kapazität je nach Körpergröße bei rund einem Liter. Aber schon ab einer Menge von ungefähr 300 Millilitern meldet sich das Organ, der Mensch nimmt dies als Harndrang wahr – das Gefühl, auf Toilette zu müssen. Jeder gesunde Erwachsene ist dieser Meldung nicht hilflos ausgeliefert, sondern kann durchaus den Zeitpunkt der Entleerung ein wenig steuern. Befindet er sich in passender Umgebung, entspannt er den Schließmuskel der Blase und spannt die Ringmuskulatur des Hohlkörpers an – dann kann es frei fließen. Kleinkinder müssen dies erst lernen, wenn das Zusammenspiel zwischen Anspannung und Entspannung klappt, können sie auf die Windel verzichten.

Was man lernen kann, kann man auch wieder verlernen

Frauen und Männer, die damit Probleme haben, an öffentlichen Orten zu urinieren, haben im Laufe ihres Lebens diese Fähigkeit zugunsten eines anderen Mechanismus wieder verlernt. Oft steht am Anfang dieser Entwicklung ein Ereignis, dass die Betroffenen mit Scham erlebten – ein jugendliches Wettpinkeln zum Beispiel oder lästerliche Bemerkungen, wie lange jemand auf der Toilette braucht beziehungsweise dass man dieses Tröpfeln ja nun kaum Urinieren nennen könne. Bei entsprechend veranlagten Menschen kann das zu der Überzeugung führen, dass sie den Ansprüchen ans Wasser lassen nicht genügen. Beim nächsten Mal auf der öffentlichen Toilette entspannt sich der Schließmuskel nicht und die Ringmuskulatur entwickelt keine Kraft – das Ende vom Lied: nichts läuft, die Blase bleibt voll. Diese Menschen sind sich irgendwann sicher: Ich kann nicht, wenn andere da sind. Das bezieht sich darauf, dass andere Toilettenbesucher sehen oder hören könnten, was die eigene Blase veranstaltet. Sobald kein Publikum mehr im Raum ist, können auch Paruretiker ihre Blase ganz normal entleeren. Übrigens auch dann, wenn sie alkoholisiert sind oder sich bereits erleichtern und erst währenddessen ein Fremder den Raum betritt.

Paruresis – psychisch bedingte Blasenentleerungsstörung

Die Paruresis ist eine im ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) verzeichnete spezifische Phobie. Unter F 40.2 findet sie sich gemeinsam mit der Angst vor Höhe, geschlossenen Räumen oder einem Zahnarztbesuch. Gemeinsam ist diesen Ängsten, dass die Auslöser tatsächlich nicht gefährlich sind. Trotzdem entwickeln die Betroffenen bei Kontakt mit ihnen allerhand Symptome wie starkes Schwitzen, Herzklopfen oder Beklemmungsgefühle. Diese wiederum machen ebenfalls Angst, dazu kommt die Erwartungsangst, dass es auch beim nächsten Mal nicht klappt. Das kann bis zur Panikattacke gehen.

Eine gesunde Harnblase wird nicht, wie oft von den Paruretikern angenommen, irgendwann platzen, sondern einfach ablaufen. Der Urin kommt dann zwar ungewollt, aber auf jeden Fall zu Tage. Bis es soweit ist, meldet sich der Körper aber mit Schmerzen, und zwar deutlichen. Ein Mensch, der von Paruresis betroffen ist, tut also gut daran, eine private Toilette aufzusuchen, wenn es auf der öffentlichen Toilette nicht lief. Genau das tun die meisten auch und leisten damit einer weiteren Entwicklung Vorschub, die ebenfalls zur psychischen Auffälligkeit wird – ausgiebige Vermeidung.

Vermeiden des öffentlichen Lebens

Mit der Gewissheit im Kopf, dass man seinen Bedürfnissen auf öffentlichen Toiletten nicht frönen kann, muss man seinen Tagesplan verändern. Das geht von der Regulierung der Trinkmenge bis hin zum Vermeiden von Urlauben, Dienstreisen und abendlichen Vergnügungen außer Haus. Bei konstanter Vermeidung wird es irgendwann sogar schwer, einer geregelten Arbeit nachzugehen, die nicht in den eigenen vier Wänden oder deren unmittelbarer Nachbarschaft stattfindet. Ein zufriedenes soziales Leben ist auf diese Weise kaum möglich, manche werden über diesen Zustand depressiv, andere denken über Suizid nach.

Dabei ist Abhilfe gar nicht so schwer und für einige sogar selbstständig möglich. Andere brauchen psychotherapeutische Begleitung. Immer aber führt der gleiche Weg zum Erfolg. Wie bei jeder Phobie sind drei Schritte zu erledigen: Überdenken der eigenen Überzeugungen, Lernen, sich zu entspannen und – Üben, Üben, Üben.

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Über Manuela Käselau

Manuela Käselau ist Physiotherapeutin und Shiatsu-Praktikerin (GSD). Parallel studierte sie Phonetik, Niederdeutsche Linguistik und Systematische Musikwissenschaft an der Universität in Hamburg. Als freie Autorin schreibt sie für diverse Online- und Printmedien, hauptsächlich im medizinischen Bereich. Seit 2012 ist sie ein Mitglied der Redaktion.