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Psychosomatik:

Psychogene Störungen – Nur eine Sache der Einbildung?

Patienten mit psychogenen Störungen müssen häufig mit dem Stigma eines Simulanten leben. Neue Forschungsergebnisse bringen Licht ins Dunkel der funktionellen Erkrankungen.

Psychogene Störungen werden nicht sofort erkannt.

Psychogene Störungen kann man mit einer Psychotherapie sehr gut heilen. Bild: © fotolia.de

Wer unter einer funktionellen Erkrankung leidet, ist als Patient nicht sonderlich beliebt. Denn dann zeigen sich am Körper dramatische Störungen oder Ausfälle, für die der Arzt keinerlei organische Erklärung finden kann. Aus diesem Grund nennt man diese geheimnisvollen Gesundheitsprobleme auch „psychogene Störungen„. Mit dieser Diagnose kapituliert der Mediziner vor der unbestrittenen Tatsache, dass die unsichtbare Seele zu sichtbaren Krankheiten führen kann. Allerdings haben Wissenschaftler in Deutschland jetzt gezeigt, dass es für funktionelle Erkrankungen sehr wohl nachweisliche körperliche Verursachungen geben kann. Die wird man allerdings nur dann sehen, wenn man wirklich mit ärztlichen Argusaugen hinschaut. Bedeutet dies das von Patienten wie von Medizinern langersehnte „Aus“ für die diagnostische Mythoskategorie der psychogenen Störungen?

Wie sehen psychogene Störungen aus?

Der Star unter den funktionellen Erkrankungen ist die „hysterische Blindheit“. Die Betroffenen können dabei auf einem oder auf beiden Augen nach eigenen Angaben nichts mehr sehen, obwohl weder der Augenarzt noch der Neurologe für diesen einschneidenden Ausfall des Gesichtssinns auch nur den Hauch einer Erklärung liefern kann. Aber auch partielle oder vollständige Lähmungen, sowie der Ausfall anderer Sinneskanäle (zum Beispiel „hysterische Taubheit“), können vorkommen. Weil die versammelte Ärzteschaft hier grundsätzlich vor einem Rätsel steht, während der verzweifelte Betroffene keine Besserung erfährt, müssen sich die Patienten auch schon mal als Simulanten oder als geltungssüchtige Psychopathen abstempeln lassen. Dieses echte Unrecht könnte ab sofort auf der Basis der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse aus der Gruppe um Professor Dr. Mircea Ariel Schoenfeld (Leiter der Abteilung „Experimentelle Neurologie“ der Uniklinik für Neurologie sowie Professor an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) endlich abgestellt werden.

Alles Nervensache, oder was?

Bei spektakulären Ausfällen der Sensorik (blind, taub, kein Tastsinn mehr) oder der Motorik (Lähmungen, Krampfanfälle) liegt grundsätzlich der Anfangsverdacht einer neurologischen Schädigung auf der Hand. Darum werden Patienten mit solchen dramatischen Symptomen meist in der neurologischen Notfallambulanz vorgestellt. Der Arzt sucht dann nach den verräterischen Spuren eines Schlaganfalls oder einer Epilepsie. Kann er jedoch beides trotz gründlicher Untersuchung nicht dingfest machen, so geht er vom pathogenen Wirken psychosozialer Belastungsfaktoren aus, wie man sie aus der Psychotraumatologie kennt. Diese Annahme muss ja auch gar nicht falsch sein. Allerdings tut man damit denjenigen Patienten keinen Gefallen, die tatsächlich eine neurologische Abweichung vorzuweisen hätten – wenn der Arzt sie denn mit feineren Messinstrumenten und einem geschärften Blick fürs Wesentliche sehen könnte.

Ich kann wieder sehen!

Prof. Schoenfeld und sein Team griffen den Fall einer Patientin auf, die schon seit Jahren ihrer Sehfähigkeit verlustig gegangen war, ohne dass dies von der versammelten Ärzteschaft hätte erklärt werden können. Schoenfeld sah hier etwas genauer hin – und entdeckte eine nachweislich gestörte Informationsverarbeitung im visuellen System der bedauernswerten Frau. Mit diesem Befund konnte erstmalig ein Therapiekonzept ausgearbeitet werden. Und siehe da – nach 18 Monaten Behandlung konnte die Patientin endlich wieder aus ihrem dunklen Verlies zum hell leuchtenden Augenlicht geführt werden. So wurde sie nicht nur ihre Blindheit los, sondern auch das scheußliche Stigma der Simulantin.

Die meisten psychogenen Störungen könnten sich als neurologische Probleme mit konkreter Behandlungsmöglichkeit entpuppen – wenn nur der behandelnde Arzt seine Hausaufgaben etwas gründlicher machen würde.

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