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Trendforschung:

Mit Google Grippe-Trends und Co. gegen Epidemien

Wissenschaftler und Mediziner weisen dem Internet und sozialen Netzwerken eine ständig wachsende Bedeutung bei der Bekämpfung von Krankheitswellen zu.

Grippe-Epidemien über Google Grippe-Trends erfassenDem Suchmaschinen-Betreiber Google gelingt es schon jetzt, Grippe-Ausbrüche vorherzusagen. Neue Projekte wollen solche Prognosen weiter verfeinern.

Frag doch einfach Dr. Google

Beim Internetgiganten Google benötigt man weder einen Kalender noch ein Thermometer, um den Beginn der kälteren Jahreszeiten festzustellen. Denn sobald die Suchanfragen für billige Flugreisen nach Mallorca oder die Öffnungszeiten des Freibades im Internet seltener werden, tauchen Worte wie „Husten“, „Fieber“ oder „Kopfschmerzen“ häufiger auf. Für Internetnutzer ist der heimische Computer oft ein schneller Ersatz für einen Besuch beim Doktor. Besonders im Herbst und Winter werden leichtere Erkältungs-Symptome oft lieber bei Google eingegeben als einem Arzt vorgetragen. Unter den Ergebnissen finden sich nicht nur Diagnosen sondern auch Empfehlungen, wie die Beschwerden zu bekämpfen sind. Seit 2008 macht Google sich diese Suchen selbst zunutze, mit einem ambitionierten Projekt, das versucht, Grippewellen vorherzusagen.

Unter dem Titel „Google Grippe-Trends“ analysiert der Suchmaschinen-Betreiber die Anfragen seiner Nutzer und wertet diese mit raffinierten Algorithmen aus. Das Resultat: eine verblüffend verlässliche Analyse, ob und wo die Grippe umher geht, aufbereitet in verständlichen Grafiken und Karten. Ganz allein mit der Auswertung von Suchbegriffen kann Google diesen Nachweis allerdings nicht erbringen. Die von der Suchmaschine gesammelten Daten werden regelmäßig mit statistischen Informationen nationaler Gesundheitsbehörden abgeglichen. Googles größter Partner ist dabei die amerikanische Bundesbehörde „Centers for Disease Control“ (CDC), für Deutschland, Österreich und die Schweiz kooperiert die Suchmaschine mit dem „Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten“ (ECDC).

Grippe-Trends kann man bei Google weltweit verfolgenWenn Google auch von der Menge der Datensätze her betrachtet die größte Internet-Untersuchung von Grippewellen bietet, im Cyberspace verbreiten sich ähnliche Projekte zur Erforschung solcher Epidemien mit virulenter Geschwindigkeit. Sie machen sich dabei die Online-Trends zunutze, die unter den englischen Schlagwörtern „Crowdsourcing“ und „Citizen-Science“ bekannt geworden sind. Bei „Crowdsourcing“ geht es darum, ein technisches oder wissenschaftliches Problem einer breiten Masse von Menschen zum Beispiel in Online-Medien zu präsentieren. Das Prinzip geht dabei davon aus, dass der öffentliche Aufruf automatisch Menschen anziehen wird, die dafür qualifiziert sind, einen freiwilligen Beitrag zur Lösung des Problems zu leisten. „Citizen-Science“ stellt die These auf, dass wissenschaftliche Kompetenz nicht immer der wichtigste Aspekt in der Forschung ist und dass auch einfache Bürger einen Beitrag leisten können, wenn sie genügend Daten beisteuern, zum Beispiel über das Internet.

Dabei spielen vor allem auch soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter eine wichtige Rolle. So haben Forscher in Brasilien unlängst ein Programm entwickelt, das Twitter-Meldungen kranker Nutzer analysiert, um einen Ausbruchs des Denguefiebers festzustellen. Der Universität von Iowa gelang es 2009 mit einer ähnlichen Twitter-Analyse einen Ausbruch der Schweinegrippe in dem amerikanischen Bundesstaat zwei Wochen vor der CDC zu vermelden.

Netzwerk auf der Suche nach dem Grippe-Trend

Wissenschaftler nutzen die sozialen Netzwerke um Grippe-Epidemien zu erkennenGeschäftstüchtige Unternehmer versuchen bereits, diese neuen Online-Trends kommerziell zu nutzen. So erhofft sich Graham Dodge, Gründer von „Sickweather“, vor allem Werbeanzeigen aus der Pharma-Industrie. Bei seinem sozialen Netzwerk stehen tägliche Neuigkeiten über die Gesundheit seiner Nutzer im Vordergrund. Dies hat dem Netzwerk bereits den Spitznamen „Facebook für Hypochonder“ eingebracht. Sickweather ist außerdem in der Lage, Nutzermeldungen in Twitter und Facebook nach Aussagen zur Gesundheit zu durchsuchen und auszuwerten – sofern der jeweilige Nutzer zustimmt. Wer dann schon mobil in der Lage sein will, zu sehen, wo die Grippe lauert, der kann sich schließlich mit der Anwendung „Influ“ auf seinem iPhone oder Android-Telefon bewaffnen.

Auch in Deutschland wird die Grippe online gejagt. Hier bittet das Robert Koch Institut Ärzte und neuerdings auch Patienten zu regelmäßigen Angaben über akute Atemwegserkrankungen. Die Auswertung dieser Angaben steht im Internet zur Verfügung.

Bislang erscheint es so, als dass die verschiedenen Herangehensweisen jeweils ihren eigenen spezifischen Schwachpunkt mit sich bringen. Google Grippe-Trends hat die Millionen auf seiner Seite, kann aber nicht feststellen, ob der Suchende wirklich krank ist und was seine Hintergründe sind. Freiwilligen-Projekte wie „Health Map“ oder „Sickweather“ können spezifische Daten sammeln, haben aber oft nicht genügend Teilnehmer, um eine Aussagekraft zu entwickeln. Dem Robert Koch Institut lagen lange nur professionelle Einschätzungen der Ärzte vor, alte Statistiken verfehlten aber Kranke, die nicht zum Doktor gingen. Mischformen wie der Zugriff auf soziale Netzwerke müssen die Privatsphäre der Nutzer respektieren, und es mangelt ebenfalls an verlässlichen Profi-Diagnosen.

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Hinzu kommen andere Probleme, wie unterschiedliche Meldekulturen. Wenn man den Daten des ECDC glaubt, leiden Belgier fünfmal stärker unter der Grippe als die benachbarten Holländer. Wahrscheinlicher ist jedoch ein Zusammenhang mit dem Umstand, dass in Belgien bereits am ersten Tag eines krankheitsbedingten Arbeitsausfall ein ärztliches Attest vorgelegt werden muss.

Doch noch stecken Disziplinen wie „Crowdsourcing“ und „Citizen-Science“ in ihren Kinderschuhen. Ihre Pioniere wie Graham Dodge geben offen zu, dass die Datensätze noch zu klein sind, um verlässliche Aussagen zu machen.

Aktiv gegen Grippe

In Europa könnte ein ambitioniertes Projekt einige dieser Schwächen nun ausräumen. Das „Influenza-Netz“ hat sich vorgenommen, 50.000 freiwillige Teilnehmer zu rekrutieren, die wöchentlich online über ihre Gesundheit berichten. Eine solch ungewöhnlich hohe Menge an Versuchspersonen, die spezifisch und gezielt Daten liefern könnten, war zuvor nie erreicht worden. In der Tat sieht es so aus, dass die europäische Kooperation ihr Ziel erreichen wird. Schon jetzt beteiligen sich gut 37.000 Menschen in den Niederlanden, Belgien, Großbritannien, Portugal, Italien und Schweden an dem Projekt. In den bevölkerungsreichen Deutschland und Frankreich stehen Influenza-Netz Teilnehmerprojekte kurz vor ihrem Start, ebenso in der Schweiz und Österreich. In den deutschsprachigen Staaten wird die Untersuchung unter dem Titel „Aktiv gegen Grippe“ von dem Informatiker Markus Schwehn übersehen. Dieser hatte der Schweiz bereits 2009 mit seinem Computerprogramm Influism assistiert, als es um die Frage ging, ob der Alpenstaat mit Massenimpfungen auf die Schweinegrippe reagieren solle. Seinerzeit kamen Schwehns Simulationen zu dem Schluss, dass Aufklärungskampagnen und der simple Aufruf zum Händewaschen die bessere Lösung waren.

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Über Roman Goergen

Roman Goergen kann auf 20 Jahre Berufserfahrung als Journalist, Syndikations-Agenturleiter und Korrespondent zurückblicken. In vier Ländern auf drei Kontinenten - Deutschland, Namibia, Südafrika und Kanada sind seine Publikationen veröffentlicht worden. Seine Reportagen sind auf Deutsch und Englisch in über 70 führenden Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Derzeit arbeitet er von Toronto aus für amerikanische, südafrikanische und deutsche Publikationen.